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258 KAPITEL3. ZIELSUCHE
Eindringen in dieMathematik verschafft hatte, so argumentierte ich, sei jetzt wieder die
Zeit gekommen, dieseGrundlagepraxisnäher einzusetzen. Praxisnäher bezog sichdabei
allerdings ausschließlich auf eine wissenschaftliche Praxis.Mitmeiner umfassenden phy-
sikalischen Vorbildung war es daher für mich unter dieser Zielsetzung naheliegend, eine
solcheAnwendungderMathematik inderTheoretischenPhysik zuversuchen.Damitwar
auch eine zwischenzeitlich erwogeneOption einer Promotion in derPhilosophie bei Prof.
Stegmüller ausgeschieden.230
Durch meine musikalischen Kontakte zu Carl Rudolf Vidal wurde mein Interesse am
bereits genanntenMPI geweckt. DessenDirektor war damalsWerner Heisenberg (1901
1976),231 einer der Begründer der Quantenmechanik und zu jener Zeit der bekannteste
deutschePhysikerüberhaupt. Ichversuchtealso,dortFußfassenzukönnen. Inderzweiten
Führungsebene wirkten damals alsWissenschaftlicheMitglieder Schüler vonHeisenberg
wieHans-PeterDürr (1929 2014),232 der die theoretischeAbteilung des Instituts leitete,
PeterMittelstaedt (1929 2014)233 undmindestens zweiweitere angeseheneWissenschaft-
ler. In einemGesprächmitMittelstaedt bot mir dieser an, mich in einer Promotion zu
betreuen undmir ein Promotionsstipendium desMPI zu vermitteln. Er war Autor des
Buches PhilosophischeProblemedermodernenPhysik ,wasmeinenphilosophischenNei-
gungen sehr entgegenkam.Die gesamte sichdamit eröffnendePerspektive erschienmir als
ideal fürmeinen nächsten Schritt, sodaß ich seinAngebot gerne annahm,mich amMPI
andieArbeitmachte und ab 1.10.1964 ein vonHeisenberg persönlich bewilligtesPromo-
tionsstipendiumvon 450,-DM/Monat erhielt.
AlsPromotionsthemaschlugMittelstaedteinThemavor,dasmeiner fundiertenMathe-
matikbildungsehrentgegenkam,nämlicheineLösungfürdassogenannte Umkehrproblem
inder Streutheorie zu erarbeiten.Wenn einTeilchen auf dasPotenzialfeld eines anderen
stieß, sowurde esvondiesem in seinerFlugbahngenausoabgelenkt,wie eineBillardkugel
beim Zusammenstoß mit einer anderen. Hat man die physikalischen Daten über beide
Teilchen, so läßt sich die Ablenkung aus diesenDaten berechnen. BeimUmkehrproblem
möchteman aus denDaten des eintreffendenTeilchens und seinerAblenkungumgekehrt
auf dieDaten des ablenkendenTeilchens, vor allemauf seinPotenzialfeld, schließen.Das
ist ein sehr grundsätzliches physikalisches und dabei klar definitiertes mathematisches
Problem, an dessenLösung ich dann eineinhalb Jahre lang eifrig knobelte.
230AOReflexionenR.1.2, S.41.
231https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Heisenberg, Zugriff 3.4.2016.
232https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Peter_Dürr, Zugriff 3.4.2016.
233https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Mittelstaedt, Zugriff 3.4.2016.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427