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260 KAPITEL3. ZIELSUCHE
Erlanger Philosophen Paul Lorenzen (1915 1994)237 zumKolloquiumsvortrag über des-
sen Protophysik ein. AmEnde seines Vortrags entwickelte sich eine heftige Diskussion,
in der vor allem Schlüter in scharfemWiderspruch zu Lorenzen die Position eines klas-
sischen Physikers vertrat. Die Diskussion wurde dann jedoch plötzlich und unerbittlich
vonFrauLorenzen jäh abgebrochen,weil sie nach eigenemBekundenumdieGesundheit
ihres verehrten und ihrerMeinung nach in dieserDiskussion unfair behandeltenMannes
bangte. Mittelstaedt selbst arbeitete an seiner Quantenlogik. Auch bei Dürr war seine
später erfolgteHinwendung zu gesellschaftspolitischenFragestellungenbereits erkennbar.
Heisenberg,der in jenemAlterwohl selbstmehrphilosophierte alshartePhysik zubetrei-
ben, hielt sich inBezugaufdie fachlicheFührungdes Instituts völlig imHintergrund.Die
daraus entstandene, von mir jedenfalls wahrgenommene Stimmung läßt sich am besten
vielleichtmit einerArt von Götterdämmerung charakterisieren.238
AmEndedes letztenUnterabschnittswurdebereits erwähnt,daßmeineFreundinChri-
stiane1964nachMünchengezogenwar.WirwareneinglücklichverliebtesPaar.239 Infolge
meiner durch das Stipendium deutlich verbesserten finanziellen Situation hatte ich mir
eine möblierte 2-Zimmerwohnung (mit Kochplatte neben der Toilettenschüssel) in der
Penzberger Straße bei FrauWinkelmeier gemietet. Kurz, meine gesamte Situation hät-
te in jeder Hinsicht nicht besser sein können. Da schockierte mich völlig unvorbereitet
HerrMittelstaedtmit derNachricht, daß er zum1.9.1965 an derKölnerUniversität eine
Professur angenommen hatte. Gleichzeitig bot er mir dort eine volle Assistenstelle an,
was finanziell ein Mehrfaches des bisherigen Stipendiums bedeutete. In Anbetracht der
fortgeschrittenen Arbeit an der Dissertation, konnte ich dieses Angebot praktisch nicht
ausschlagen.
So zog ich zum 1.9.1965 nachKöln und dort zunächst in Ermangelung einer besseren
Lösung in einemöblierteWohnung, in der jedes der Zimmer an je einen Bewohner ver-
mietet war. Erst zum 1.11.1965 fand ich zumMietpreis von DM 180,- ein unmöbliertes
Apartment inderTrajanstr. 35unweitunseres Instituts amUbierring53.MeinVaterhalf
bei derMöblierung.240Nun aberwar ich eine 6-stündigeAutofahrt vonmeiner geliebten
Christiane entferntund fühltemich inKöln trotznetterKollegenundMitbewohner ziem-
lich verlassen.Wie es in einer solchen Situation gehenmuß, verliebte sich einigeMonate
späterChristiane ineinenStudienkollegen.DieEifersuchtdrohtemichvölligausderBahn
237https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lorenzen, Zugriff 5.4.2016. ZumVortrag vgl. TBII, S.129.
238DieÜberlegungen vomMai 1965 inTBIII, S.79ff, reflektieren diese Stimmung sehr klar.Wennman
bedenkt,wievielePhysiker indenJahrzehntendanach indie Informatik emigriert sind, kannmandiese
damaligenÜberlegungen zweifelsohne als sehrweitsichtig einschätzen.
239Vgl. TBI, S.107.
240AOKorrespondenz, BriefeOkt.65 anVater.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427