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3.5. STUDIUM 261
zuwerfen. Und genau in diese ohnehin verzweifelte Lage hinein platzte die oben bereits
berichteteNachrichtmeinesZimmerkollegenvonder längst erfolgtenVeröffentlichungder
Lösungmeiner Dissertationsaufgabe, die damit als solche völlig hinfällig geworden war.
DerRespekt vorHerrnMittelstaedt, der durch inzwischen gewonneneweitereEinsichten
in seine Persönlichkeit und seine wissenschaftliche Kompetenz schon vorher etwas be-
schädigt war,241 sank auf den tiefstenWert. So traf ich eine extremwaghalsige, ja fast
unvernünftige Entscheidung: ich kündigte wenigeMonate nach Amtsantritt mit Schrei-
ben vom 3.3.1966 meine Assistentenstelle und das Beamtenverhältnis auf Widerruf in
Köln zum 30.4.1966. Von einer aussichtsreichen Position stürzte ich jäh in das vielleicht
tiefste Lochmeines Lebens.
NochwährendmeinerDienstzeit inKöln begab ichmich inMünchen auf eine verzwei-
felte Suche nachmöglichenAlternativen.Da ichdort ein halbes Jahr vorher zwangsweise
alleZeltehatteabbrechenmüssenunddieBeziehungzuChristianeangesichts ihresneuen
Liebhaberskaummehrzurettenwar, empfand ich indieser zunächstaussichtslosenSitua-
tion in dieser großen Stadt eine extremeVereinsamung. Zu jener Zeit verhandelteGeorg
Süßmann,242 damals noch inFrankfurt, bereitsmit der LMU(Ludwigs-MaximiliansUni-
versität)wegen einerProfessur inMünchen,wasmir durchmeinenFreundWernerHüller
zu Ohren gekommen war. Er schlug mir bereitwillig ein neues Dissertationsthema vor,
dasmich inhaltlich aber überhaupt nicht reizte.Offenbar konnte ich selbst in dieserNot-
situationmeinen Prinzipien durchaus treu bleiben. Da ich andererseits imAlter von 27
JahrenmeinemVater nicht erneut auf der Tasche liegenwollte, ergriff ich die nächstbe-
steGelegenheit einesAngebots in der Industrie, nämlich bei den Junkers Flugzeug- und
MotorenwerkeAG (JFM), und unterschrieb dort einenAnstellungsvertrag.
Weilmiraberklarwar,daßes sichdabeinurumeineNotlösunghandelnkonnte, schlich
ich einmal doch auchwieder in der Schellingstraße vor demMathematischen undPhysi-
kalischen Institut umherund traf dortwie durch eine glücklicheFügung zufälligGerdFi-
scher,243 einen altenSchulkameradenausderParallelklasse, der zudem inNürnbergnicht
weit von uns gewohnt hatte und nun inMünchen bereits auf demWege zurHabilitation
inMathematik war. In diesem freundschaftlichen Gesprächmachte er mich darauf auf-
merksam,daßderneuberufeneProfessorSchütte244 imMathematischen Institut inKürze
seineArbeit aufnehmen und nochMitarbeiter suchenwürde. Unverzüglich versuchte ich
beidiesemalsomeinGlück,dasmirnachdemschonmehrfacherlebtenMuster Erschwer-
241TBIII, S.67ff,98f,130, sowieAOReflexionen,R.1.2, S.109ff.
242https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Süßmann, Zugriff 6.4.2016.
243https://de.wikipedia.org/wiki/Gerd_Fischer_(Mathematiker), Zugriff 6.4.2016.
244https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Schütte, Zugriff 6.4.2016.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427