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3.5. STUDIUM 263
Mit der Entdeckung vonWidersprüchen in der Mathematik entstand eine Situation,
die man als die Grundlagenkrise derMathematik zu bezeichnen pflegt. Zu deren Über-
windung schlugDavidHilbert einProgrammvor, nachdemdieWiderspruchsfreiheitmit
reinkonstruktivenundfinitenMittelnnachgewiesenwerden sollte.Gödel zeigteum1930,
daß dieses Programm in dieser strikten Form grundsätzlich undurchführbar ist. Deshalb
verfolgte man dieses Programm imGebiet der Beweistheorie von da an in einer modifi-
zierten Form, die auch nicht-finite Beweismethoden, jedoch in einer so eingeschränkten
Weisewie irgendmöglich erlaubte.
Ein solcherWiderspruchsfreiheitsbeweis für eineTheorieT erfordert zunächst die For-
malisierung von T innerhalb eines formalen Systems der Logik, beispielsweise der Prä-
dikatenlogik. Ein solches Logiksystem besteht aus einer formalen Sprache sowie darin
formulierten einfachstenFormen logischer Schlüsse.Der formal komplizierteste unter die-
sen ist der jedermann bekannte Schluß, in der Logikmodus ponens genannt, der mit
dem folgendenBeispiel illustriertwerden kann: AlleMenschen sind sterblich. DerAutor
dieses Buches ist ein Mensch. Also ist dieser Autor auch sterblich. Im Ergebnis dieses
Schlusses,dh. inderKonklusionbzw. imdrittendieserdreiSätze, trittdieEigenschaftdes
Menschseins aus denbeidenSätzen in derVoraussetzung, dh. denPrämissen, nichtmehr
auf; sie wurde quasi herausgeschnitten. Die formale Form dieser Schlußregel bezeichnet
man inderLogik daher auch als Schnitt .Mankonnte nunmit finitenMethoden zeigen,
daß eine Theorie genau dannwiderspruchsfrei ist, wennman solche Schnitte überhaupt
nichtbenötigt, diese alsoohneBeeinträchtigungdesUmfangsderTheorie ausdemforma-
len Logiksystem eliminierbar sind. Diese Einsicht verschaffte der Problemstellung der
Schnittelimination daher eine zentrale Rolle in der Beweistheorie und in der Grundle-
gungder gesamtenMathematik (und imGefolge allermathematisiertenWissenschaften).
Eszeigte sichnun,daß sich imFallevoneinfachenTheoriendieSchnittelimination, also
auch dieWiderspruchsfreiheit, tatsächlichmit finitenMethoden beweisen läßt. Bei kom-
plizierteren Theorien wie beispielsweise der Theorie der natürlichen Zahlen (1,2,3, ...)
benötigt man dagegen zu den rein finiten Beweismethoden zusätzlich eine sogenannte
transfinite Induktion bis zu einer sogenannten Ordinalzahl. Ordinalzahlen sind mathe-
matischeKonstrukte, die sich in einermöglichen Sichtweise aus derVorstellung ergeben,
man könne beliebig lange und zwar im Limes bis ins Unendliche bezeichnet mit ω
zählen, dann darüber hinaus sogar nochweiterzählen und diesen Zählprozeß beliebig
weit fortsetzen. Methoden heißen finit, wenn sie über ω nicht hinausgehen, andernfalls
transfinit.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427