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334 KAPITEL4. FORSCHERLEBEN
Kellerprinzip in der Informatik, das in diesem Zusammenhang üblicherweise im Kon-
text seines Namens erwähnt wird; denn die zugehörigen Publikationen tragen alle den
Namen Samelson als ersten Autor, der entsprechend der üblichen Praxis77 hierzu also
den eigentlichenBeitrag geleistet hatte.Bauer selbstwar ein extremvielWissender, aber
keinForscher imengerenSinne, der hingebungsvoll unduneigennützig nach einer tieferen
ErkenntnisumderErkenntniswillenodernachderLösungeinesProblemsumderLösung
willen strebte. ImVordergrund stand für ihn vielmehr seinAnsehens- undMachtgewinn.
Wie er sprudelnd reden konnte, vermochte er auch Texte zu schreiben. Wenn sie aber
fundierter werden sollten, mußte ein Koautor die Detailarbeit übernehmen und, wie im
Beispiel desKellerprinzips, auch die Ideen dazu beibringen.78
Bauer verfügte über einwahrhaft exzellentesOrganisations- undDurchsetzungstalent.
Diesemverdankt dieTUMdenAufbau der dortigen Informatik, die deutsche Informatik
einenwesentlichenBeitragzudennationalenStrukturendesFachesunddie internationale
Informatik-Community viele herausragende Beiträge zurOrganisation vonKonferenzen,
Sommerschulen etc. Auch ich verdanke ihm einen erheblichenAnteil an demorganisato-
rischenWissen, das ichmir währendmeiner Tätigkeit in der zweiten Leitungsebene als
für die Finanzen zuständigerMitarbeiter erworben und imLaufe der Jahrewirkungsvoll
eingesetzt hatte.
Wie ichmir sagen ließ, hielt Bauer auch inhaltsreiche Vorlesungen, die er aus seinem
reichenWissensschatzwohlgleichsamhervorsprudelnkonnte.FüreinenStudentenmeines
Zuschnittswäre er eher keinbevorzugterDozent gewesen.AberPluralität ist auchander
Hochschule einnützlichesPrinzip.VoralleminderzweitenHälfte seineraktivenTätigkeit
kümmerte er sich wohl auch intensiver um seine Mitarbeiter. Insgesamt verschaffte er
vielen seinerGetreuen hohePositionen.
Das alles klingt nach einemhöchst erfolgreichen, wennmöglicherweise auch eigenwilli-
genProfessor. In derTat gelang es ihmauch, dieses positiveBild von seinerTätigkeit zu
hinterlassen, sodaß einHörsaal in derTUMheute seinenNamen trägt.Wo also liegt das
Problem?Umdieses zu erkennen,mußman seinVerhalten zu seinempersonellenUmfeld
etwas genauer beleuchten und sollte dabei tunlichst zwei überlappendePhasen in seinem
77Bei etwa gleichgewichteten Beiträgen würdeman anders als hier geschehen ausnahmslos die alpha-
betischeReihenfolge bei denAutoren verwenden.
78Da die Berechnung rekursiver Funktionen schon lange vor der Erfindung des Komputers bekannt
warundbei jeder solchenBerechnungdieZwischenergebnissenachdemKellerprinzip gespeichertwerden
müssen, könnte man diese Entdeckung durch Samelson und Bauer im Hinblick auf ihre Originalität
durchaus hinterfragen. In https://en.wikipedia.org/wiki/Charles_Leonard_Hamblin wird sogar festge-
stellt, daßdasKellerprinzip schonmehr als ein JahrzehntvorSamelsonundBauer 1946vonAlanTuring
in seinemACEKomputer verwendetwurde.Turingwarwie jedemLogiker dieseswohlbekannteRechen-
prinzip jedoch keine besondereErwähnungwert.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427