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4.2. KIETABLIERUNG 345
Als ich 1969 Mitglied des Instituts wurde, war daher ausschließlich Bauer als Insti-
tutsleiter sichtbar. Samelson führte quasi die Rolle eines leitenden Assistenten, der für
alle möglichen Funktionen abgeordnet wurde und sich um die fachliche Betreuung der
großen Zahl anMitarbeitern so gut wie möglich kümmerte, auch wenn diese bei Bauer
angesiedelt waren.Die beiden teilten sich auch das Sekretariat, in demgleichwohl Bauer
das Sagenhatte.Anfangder siebziger JahrewagteSamelson erste eigenständige Schritte.
Erstmalswar seinDienstzimmer räumlichgetrenntvondemBauerschen ineinemanderen
Gebäudeund er verfügte über ein eigenes Sekretariat. Er kooperierte zudemsichtbarmit
einemeigenenMitarbeiter, der fachlich eine sehr eigenständige Linie verfolgte.Vor allem
wagte der bereits über 55-jährige Junggeselle erstmals sichtbar eine Beziehung zu einer
Frau einzugehen.
EskamihmindieserPhaseum1974wohldurchausnichtungelegen,daß seinMitarbei-
ter nun auch habilitierenwürde. Ichweiß natürlich nicht, wie esBauer ab 1975 gelungen
ist, sichSamelsonwieder gefügig zumachenundauf seineharteLinie zubringen.Aber in
Kenntnis seines Charakters, dem jegliche Führungsautoritätmangelte, war es für Bauer
mit seinemdämonischenEinfluß letztlichwohl ein Leichtes, Samelson daran zu erinnern,
was er ihm alles zu verdanken hätte. Dabei kamen Bauer die weiterhin durchaus ge-
meinsam gehegten fachlichen Ansichten und Überzeugungen sehr zu Hilfe. Denn beide
waren geprägt vom Umgang mit Rechnern auf der untersten Schaltebene. Sie verfolg-
ten eine Entwicklung der Informatik quasi von unten nach oben ( bottom-up ). Die von
mir bevorzugte Sicht auf Berechenbarkeit von der hohen Logikebene war beiden damals
völlig fremd. Das in den angelsächsischen Ländern unabhängig vorangetriebene Gebiet
der Künstlichen Intelligenz (KI) war stark Logik-orientiert. Auch hier präferierte man
eine Entwicklung von oben nach unten ( top-down ). Selbst wennmich Samelson in der
Abhaltung der oben genanntenKI-Seminare überHeuristik undBeweisverfahren gewäh-
ren ließ, so hieß das keineswegs, daß er sich damit fachlich identifizierte. Beweisverfahren
schätzte er als einemathematische Spielerei und als völlig peripher zur Informatik ein.
Als 1973 der berüchtigte Lighthill Report94 erschien, hielt er mir das Papier triumphie-
rend unter die Nase. UndKowalski hielt er für einen Schwindler , wie imAbschnitt 4.1
bereits zitiert. Kurz, inhaltlichwar Samelson völlig einsmit Bauer in der negativenEin-
schätzungmeines Ansatzes, der daher durchaus Anknüpfungspunkte nutzen konnte, um
Samelsonvondessen sonstuntadelig fairenLinie nicht zuletztunterVerweis aufdessen
94https://en.wikipedia.org/wiki/Lighthill_report, Zugriff 26.7.2016. Es handelt sich hierbei um ein
Gutachten über die Erfolgsperspektiven des Gebietes der Künstlichen Intelligenz in England, das so
negativ ausfiel, daßdieFörderungdortweitgehend eingestelltwurdeunddasVereinigteKönigreich tech-
nologischweit zurückwarf.EsbestätigtedamitdieVorurteilevonSamelsonundBauerüberdiesesGebiet.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427