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viele andereunterdiesemMuster) auf einengrundsätzlichenFehler inunseremeingespiel-
ten sozialenVerhalten zurückgeführtwerden können.6
Zunächst halte ich nochmals fest, daß dieEntscheidung vom4.5.1977 desFachbereichs
Mathematik-InformatikderTUMünchen,meinHabilitationsverfahrennicht fortzusetzen,
ein seltenkrassesFehlurteilwar.DennderFachbereichsratkamdamit zudemSchluß,daß
ich über keine ausreichenden Fähigkeiten zur Ausübung des Berufs als Hochschullehrer
verfüge,wassichangesichtsdersoebenzusammengefaßtenBilanz jedenfalls imNachhinein
offensichtlich als Fehlurteil erweist.Wie kann einGremium zu einemderartigen falschen
Urteil gelangen, in dem vermeintlich lauter besonders kluge Leute, weil Professoren und
Dozenten, sitzen?
Meine Erklärung ist die folgende. Mein Lebensprinzip hat mich zu einemMenschen
geformt, der mit einem recht breitenWissen ausgestattet und zu tiefstem Nachdenken
in höchsterKonzentration fähig ist. Dadurch führtmichmeine Entscheidungsfindung zu
Lösungen,dieanderenochnichtalsbrauchbarerkennen. ImFallemeinerHabilitationwar
das, allgemein gesprochen, der wissenschaftliche Ansatz, der als Künstliche Intelligenz
oder Intellektik bezeichnet werden kann. Heute ist dieser Ansatz weltweit mit größten
Erfolgen fest etabliert, damals aber in Deutschland akademisch geradezu verrufen. Ge-
meinschaften fördern in reflexhafterWeisedasVertrauteundsperren sichvehementgegen
das Unvertraute, ja bekämpfen es sogar, auch wenn es sich später für die Gemeinschaft
letztlich als höchst vorteilhaft erweisen sollte. Genau in diese Lage bin ich damals gera-
ten und es hatmehr als zwölf kampferfüllte Jahre gedauert, bis ichmich daraus befreien
konnte.
VomWesenher betrachtet undabgesehenvonden spezifischenDetails tritt eine solche
Situation auch heute und überall auf. In allen Berufen gibt es diejenigen, die reflexhaft
im Strom der vorherrschenden Meinung erfolgreich mitschwimmen und deshalb immer
obenauf sind. Und dann aber eben auch diejenigen, die nachdenklich versuchen eigene
Wege zu gehen, weil sie derenVorteile durch intensives Nachdenken klar erkannt haben,
undauf diesenWegendannaber auf größteWiderständeausdenbeschriebenenGründen
stoßen. Es ist zu vermuten, daß diemeisten der letzteren in irgendeinerWeise scheitern.
Entweder sie kapitulieren vor den sich aufbauendenWiderständen undpassen sichwider
besseresWissen demäußerenDruck an oder sie gehen vollends unter.Nur dieWenigsten
von diesen kommen in eine so glückliche berufliche Position wie ich damals, aus der ich
6Für diesen in der nationalen und internationalen akademischenWelt recht bekannt gewordenenFall
wurden viele Erklärungen versucht wie: da ist halt etwas dummgelaufen oder da sind sich halt zwei
alpha-Tiere ins Gehege gekommen oder der Bibel ist halt einMichael-Kohlhaas-Typ usw. Alle diese
mir bisher zugetragenenErklärungen sind entweder völlig abwegig, zu schwammig oder substanzlos.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427