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12 Einleitung
Forschungsgeschichte und Literatur
Die ersten „Geschichten der Alpen“ wurden geschrieben, als Ende des 19. Jh. die
Alpen als Landschaft „entdeckt“ wurden. P. H. Scheffel verfasste 1908/1914 eine
zweibändige „Verkehrsgeschichte der Alpen“, die schon damals zeigte, dass die
Quellenlage für die Zeit von etwa 500 bis 800 äußerst dürftig war. Die quellenmä-
ßig wesentlich besser rekonstruierbare Alpenpolitik der spätantiken und frühmit-
telalterlichen Mächte wurde ebenfalls bald Gegenstand von Publikationen. Georg
Löhlein schrieb 1932 über „Die Alpen- und Italienpolitik der Merowinger im VI.
Jahrhundert“, Richard Heuberger verfasste im selben Jahr sein Werk „Rätien im
Altertum und Frühmittelalter“ und veröffentlichte zahlreiche Schriften über den
zentralen Alpenraum. Diese Arbeiten sind nach wie vor besonders wegen der
ausführlichen Behandlung und Auflistung der vorhandenen Quellen sehr wichtig.
Alfons Dopsch schrieb in den 1920er- und 1930er-Jahren viel über die Wirtschafts-
geschichte des frühen Mittelalters und bezog die alpinen Gebiete oft mit ein.
Leider sind viele der wissenschaftlichen Arbeiten aus dieser Zeit sehr tenden-
ziös, da sie politisch dem Nationalismus und, schlimmer, dem Nationalsozialismus
nahestehen. Sehr oft wird den historischen Akteuren ein (fiktives) „Deutschtum“
bzw. „Germanentum“ als Handlungsmotiv untergeschoben. Hintergrund vieler
dieser Publikationen war der politische Anlass : Die romanische aber auch slawi-
sche Bevölkerung der mittelalterlichen Alpen wurde negiert, um den neuzeitli-
chen Gebietsanspruch zu rechtfertigen. Langobarden, Goten, Franken, Burgunder
und andere Gruppen wurden zu einer großen Gemeinschaft mit „artverwandtem
Blut“ konstruiert und Hunnen und Awaren als „artfremd“1 bezeichnet. Die Staa-
tenbildung in den Alpen wurde dem „germanischen Norden“, und hier vor allem
dem bairischen und fränkischen „Volk“ zugeschrieben, die gemeinsam den Raum
erst besiedelt und urbar gemacht hätten.2 Dass die letztgenannten Zitate aus den
1960er-Jahren stammen, zeigt, wie lange diese Auffassungen auch in wissenschaft-
lichen Kreisen noch akzeptiert waren.
Scheinbar harmlose Worte erscheinen deshalb in diesem Blickwinkel tenden-
ziös, etwa der auch heute noch gerne benutzte Begriff „Landnahme“.3 Für viele
Forscher war die Bevölkerungsgeschichte nach der „Landnahme“ der Alemannen/
Burgunder/Baiern/Slawen etc. abgeschlossen und die innerhalb der politischen
Grenzen diese Mächte siedelnden Menschen wurden fortan als zum jeweiligen
1 Egger, Der Alpenraum im Zeitalter des Überganges von der Antike zum Mittelalter 26 ff.
2 Mayer, Die Alpen als Staatsgrenze und Völkerbrücke 12.
3 Dazu RGA „Landnahme“ (R.Corradini).
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361