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Der zentrale Alpen- und Voralpenraum 305
Bis Ende des 7. und Anfang des 8. Jh. konnten die galloromanischen Eliten ihre
Macht noch halten. Durch die Umwandlungen des merowingischen Reiches An-
fang des 8. Jh. werden diese aber nach und nach ersetzt und von den austrasischen
Herzögen pippinidischer Herkunft beherrscht.30 Das Gebiet blieb noch bis 843
eine mächtige politische Einheit. Auch danach bezeichneten sich die Rudolfinger
als burgundische Könige. Das spätere 9. Jh. brachte einen zunehmenden Verfall der
Zentralmacht in der Provence und in Burgund und die regionalen Adelsgruppen
bekämpften einander gegenseitig. Diese Situation nutzten wiederum sarazenische
„Räuber“ aus, die sich bei Fréjus festsetzten und die Westalpen mit zahlreichen
Raubzügen plünderten.31 All diese Ereignisse brachten die Reste der spätantiken
Machtstrukturen zum Verschwinden. Der Name „Burgund“ blieb jedoch bis in die
heutige Zeit.
Der zentrale Alpen- und Voralpenraum
Die Vita des Severin aus dem beginnenden 6. Jh. ist die letzte ausführliche schrift-
liche Nachricht, die uns von den römischen Bewohnern der Donauprovinzen Rä-
tien und Noricum erhalten ist. Mit dieser Vita verblassen die Spuren der Lateinisch
sprechenden und ganz der spätantiken Kultur zugehörigen Gesellschaft. Etwas
übertrieben, aber mit einem Kern Wahrheit, erzählt der Mönch Eugippius, dass
Severin den Untergang der römischen Kultur hier vorhergesagt habe, und lässt die
verbliebenen Römer, gleich dem Auszug der Israeliten in das Gelobte Land, nach
Italien auswandern.32
Die Bevölkerung des Raumes selbst formierte sich nun neu aus den verblie-
benen Einheimischen und Zuwanderern verschiedenster Herkunft. Auf dieser
Basis entstand das Herzogtum der Baiern.33 Die Einheimischen, meist „Roma-
nen“ genannt, waren wiederum das Ergebnis eines langdauernden Prozesses von
Anpassung an die römische Kultur durch Eroberung, Vorbildfunktion der an-
tiken Zivilisation und Zuwanderung. „Romanen“ bedeutet in diesem und dem
folgenden Kapitel vor allem, dass die so bezeichneten Menschen eine Sprache
30 Bernard, Le Royaume mérovingien 159.
31 Leguay (Hg.), La Savoie des origines à l’an mil 356 ff.; Poly, La Provence et la société féodale 4 ; Zu
den Sarazenen in den Westalpen schrieben Sénac, Musulmans et Sarrasins dans le sud de la Gaule
und Lacam, Les Sarrazins dans le haut Moyen Age français.
32 Eugippius, Vita s. Severini c. 44.
33 Wolfram, Überlegungen zur Origo Gentis 22 ; zur Entstehung der „Baiern“ allgemein z. B. Wolfram,
Ethnogenesen 105 ff.; Jahn, Ducatus Baiuvariorum 3 ff.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361