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Christentum 207
Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ?
Um 600 wurden große Teile des Ostalpenraumes von Awaren und Slawen erobert.
Die romanisch-christliche Kultur ging unter und die einheimische Bevölkerung
passte sich den Neuankömmlingen an.199 Für das 7. Jh. gibt es keine eindeutigen
Nachrichten über den Ostalpenraum. Die Siedlungsformen scheinen nomadenhaft
und oberflächlich gewesen zu sein, bevorzugtes Material war Holz, die Toten wur-
den verbrannt. Die allgemeine Knappheit an Rohstoffen bedingte, dass kaum ein
Stück in den Boden gelangte, um uns heute Auskunft über diese Gesellschaft zu
geben. Das Wenige, was man über die Bevölkerung der Ostalpen sagen kann, ist
aus den Überlieferungen christlicher Autoren herauszulesen. Hier handelt es sich
vor allem um Quellen aus dem nördlichen Alpenvorland, denn Aquileia konnte
oder wollte sich nicht mehr um diesen Raum kümmern. Paulus Diaconus liefert
mit seiner Historia Langobardorum aus dem Ende des 8. Jh. eine wertvolle Aus-
nahme. Sollte es noch andere bedeutende Zeugnisse oder Überlieferungen gege-
ben haben, so dürften sie schon im frühen Mittelalter verloren gegangen sein.200
Es stellt sich die Frage, warum mit der Eroberung von Awaren und Slawen
die christlichen Strukturen untergingen.201 Für die Awaren hatte das römische
Reich keine Vorbildwirkung und das Christentum war für sie nur ein Glaube unter
vielen. Die heidnischen Eroberer hatten also nichts gegen das Christentum oder
Christen an sich, sie hatten aber auch keinen Grund, den Machtanspruch der Bi-
schöfe zu tolerieren. Bischöfe waren Ende des 6. Jh. sehr mächtige, reiche und oft
auch korrupte Personen, die durchaus auch die Seiten wechselten und damit das
Zünglein an der Waage der weltlichen Macht sein konnten. Oben schon erläutert
wurde ihre Bedeutung für die Zentralorte der Spätantike und die Entwicklung
regelrechter Bischofsherrschaften.202 Diese Eliten waren es auch, die die christ-
lichen Strukturen aufrechterhalten hatten, in der höheren Theologie sowie dem
Schrifttum bewandert waren und den Kontakt zu anderen christlichen Zentren,
etwa Aquileia, pflegten. Sie zu beseitigen, bedeutete eine wichtige und potenziell
199 Mehr dazu im Kapitel „Der Ostalpenraum. Von Binnennoricum zu Karantanien“ ab S. 319.
200 Schon 811 waren beim Streit Aquileias mit Salzburg zu wenig aussagekräftige Dokumente vor-
handen, um den aus der Spätantike hergeleiteten Anspruch auf die Kirchenprovinz Noricum zu
untermauern. MGH DD Kar. 1 Nr. 211, S. 282.
201 Bemerkenswerterweise ging ja weder in Britannien, als Teile von den Angelsachsen erobert wur-
den, noch in Nordafrika, als es von den Arabern eingenommen wurde, die bischöfliche Organisa-
tion ganz zugrunde.
202 Berg, Bischöfe 85 über norditalienische Bischöfe, die aus Unzufriedenheit mit Byzanz die Langobar-
den mit offenen Armen empfangen. Ein weiteres Beispiel für die bischöfliche Machtentfaltung wäre
beispielsweise in Churrätien, wo ein Bischof weltliche als auch geistliche Herrschaft in sich vereinte.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361