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Besiedlung 239
archäologischen Funde (s. u.). Die Grabungen bringen selten nennenswerte Er-
gebnisse, obwohl in Gallien und Italien von prunkvollen Städten und lebendigen
urbanen Zentren erzählt wird. Es ist schwer zu entscheiden, woran das liegt. Ei-
nerseits befinden sich die frühmittelalterlichen Stadtkerne direkt unter den moder-
nen Zentren und der Großteil der Spuren ist daher zerstört. Andererseits könnten
die Quellen lediglich die antiken Topoi wiederholt haben, ohne auch nur daran zu
denken, ein realistisches Abbild der beschriebenen Stadt zu liefern. 381
Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter
In den Alpen hatte es auch in der Glanzzeit des Römischen Reiches keine großen
Städte gegeben. Einige konnten sich allerdings zu Zentralorten von nicht geringer
Größe aufschwingen. Viele der alpinen Städte hatten vorrömische Wurzeln, etwa
Genf und Grenoble.382 Bei anderen handelte es sich um römische Neugründungen
mit dem typischen schachbrettartigen Straßenmuster, beispielsweise Octodurum/
Martigny, Augusta Praetoria/Aosta, Tridentum/Trient, Aguntum und Virunum.
Alle stadtähnlichen Orte wurden gemäß dem römischen „Stadtschema“ mit den
entsprechenden Gebäuden, wie Forum, Tempel und Amphitheater ausgestattet.
Die Amphitheater von Octodurum/Martigny, Augusta Praetoria/Aosta und Viru-
num konnten einige Tausend Menschen fassen. Auch Brigantio/Briançon und
Susa, am Fuß des wichtigen Überganges über den Montgenèvre gelegen, hatten
eigene, kleinere Amphitheater.383 Hatte das Römische Imperium einen militäri-
schen Erfolg zu verbuchen, wurden auch im Gebirge Triumphbögen gebaut. Ther-
men waren ebenfalls keine Seltenheit.384 So sehr die Römer die Alpen gerne als
lebensfeindlich stilisierten : Die alpinen civitates unterschieden sich in ihrer Aus-
stattung und Größe kaum von kleineren urbanen Zentren des Flachlandes.
Die meisten der größeren antiken Städte der Alpen befanden sich am oder nahe
dem Gebirgsrand. Die binnennorische Stadt Virunum lag genau genommen nicht
einmal im Gebirge, sondern im Klagenfurter Becken und damit – geografisch ge-
sehen – im Flachland. Die Ursache dafür liegt in der Erhaltung der Städte durch
381 Dies lässt sich besonders in Italien und Gallien feststellen. Wickham, Framing 644 ff. allgemein 655 ;
Loseby, Decline and Change 93 ; Gauthier, Le paysage urbain 49 f.; Csendes, Antike Wurzeln 11 ff.
382 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 128 f. (J-P. Jospin).
383 Jourdain-Annequin, Atlas culturel 188 ff. (Barruol) ; Wiblé (Hg.), Vallis Poenina 171 ; Piccottini et al.,
Virunum ; Pippke/Leinberger, Piemont und Aostatal 158.
384 Triumphbögen stehen noch heute in Susa und Aosta, die Grundmauern der Thermen von Agun-
tum sind freigelegt und können ebenfalls besichtigt werden. Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas cultu-
rel 155 f. (Anne Le Bot-Helly) zeigt eine Übersicht der römischen Städte der Westalpen.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361