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Christentum 193
nicht als Problem wahrgenommen. Die Streitereien innerhalb der Kirche sind weit
besser überliefert als die Bedrängung durch Kräfte von außen.113
Lokale christliche Topografie im Wandel
Die veränderten großräumlichen Verhältnisse spiegeln sich in der lokalen christ-
lichen Topografie wieder. Die Stadt – civitas – war einst die zentrale Einheit des
römischen Imperiums gewesen. Baulicher Ausdruck dieser Macht und zugleich
Mittelpunkt der Stadt und des zugehörigen Territoriums war das Forum.114 Der
Rückzug der institutionellen Herrschaft des römischen Reiches und der gleich-
zeitige Aufstieg der kirchlich-bischöflichen Autorität bedingten eine bedeutende
Veränderung in der städtischen Landschaft. Nach der Wende des Römischen Im-
periums zum Christentum residierte in den spätantiken administrativen Zentren
üblicherweise ein Bischof. Ab dem 5. Jh. hatte dieser vielerorts das entstandene
Machtvakuum aufgefüllt und somit die Stadtherrschaft in fast allen Bereichen
übernommen. Eine Folge der Aufwertung des Amtes war, dass eine geistliche
Laufbahn nun auch für die Aristokratie sehr attraktiv wurde.115 Eine gute Quelle für
den inneralpinen Ostalpenraum ist einmal mehr die Vita Severini, die den Bischof
Paulinus von Teurnia als verantwortlich für kirchliche und städtische Verwaltung,
aber auch für die Organisation der Verteidigung bezeichnet.116
In der Stadt selbst kann dieses veränderte Machtgefüge in der Topografie abge-
lesen werden : Nun bildeten oft die bischöfliche Residenz und die dazugehörige(n)
Kirche(n) den Stadtkern. Diese Gebäude wurden in Gallien, aber auch Venetien
und Istrien, oft auf oder in den Resten des antiken Forums oder anderer öffentlicher
Anlagen errichtet.117 Parallel dazu verlagerte sich die schriftliche Selbstdarstellung
der Eliten von Tafeln auf öffentlichen Plätzen zu einem christlichen Kontext in
Form von Stifter- oder auch Grabinschriften.118 Die zunehmende Bedeutung der
Bischöfe schlug sich in repräsentativeren Bauten nieder. Ab der Mitte des 5. Jh.
113 Pohl, „Das sanfte Joch Christi“ 267 ; Berg, Bischöfe 84.
114 Zu der Wandlung von spätantiken zu frühmittelalterlichen Siedlungszentren und zur Begriffsdefini-
tion „Stadt“ : siehe Kapitel „Zentren“ ab S. 236. Csendes, Antike Wurzeln 9 ff.
115 Kaiser, Bischofsherrschaft 67 f.; Demandt, Spätantike 379 f.; Loseby, Decline and Change 70 ; Berg,
Bischöfe 65. Dies führte auch dazu, dass einige Bischöfe trotz kirchlichen Verbotes die Waffen in die
Hand nahmen. Prinz, Klerus und Krieg 41 ff.
116 Krahwinkler, Zur kirchlichen Situation im Südostalpenraum 106.
117 Guyon, La topographie chrétienne 115 u. 125.
118 Guyon, La topographie chrétienne 108 für Gallien und Witschel, Der epigraphic habit in der Spätan-
tike 379 für Venetien und Istrien. Man denke hier auch an die berühmte Stifterinschrift des Ursus
und der Ursina in der Begräbniskirche von Teurnia. Glaser, Frühes Christentum 104 und 138.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361