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236 Menschen in den Alpen
Die materielle Kultur war wenig prunkvoll und oft aus vergänglichen Materialien
gefertigt. Der einzige Bevölkerungsteil, der die für die Archäeologie so wichtige
Sitte der Grabbeigaben pflegte, war eine an barbarischen Moden orientierte Elite.
Diese Bevölkerungsgruppe ist in den Alpen nicht oft zu finden, wie an den Kapi-
teln über die Migrationen zwischen 500 und 800 sowie den Herrschaftsstrukturen
ersichtlich sein wird.
Zentren
„Stadt“ : Konzept und Begriffe
In der Antike wurden die Zentralorte mit dem Begriff civitas belegt. Meist wird
dieses Wort mit „Stadt“ übersetzt – allerdings unterscheidet sich das antike Stadt-
konzept an einigen Stellen bedeutend vom modernen. Anfangs bezeichnete civitas
vor allem einen Personenverband, der in einem größeren Gebiet siedelte und des-
sen Zentrum eine Stadt war. So war das römische Lutetia das Zentrum der civitas
Parisiorum : Nicht zufällig wandelte sich der Name der Stadt im Laufe der Zeit
zu „Paris“. Die civitas erfüllte ihre Zentrumsfunktion als Gerichts- und Marktort,
Steuersammelpunkt, militärisches Zentrum sowie als administrativer Mittelpunkt
des Territoriums, sie war auch eine rechtliche Institution. In der Spätantike wurden
auch die Begriffe urbs, municipium und oppidum für städtische Siedlungen verwen-
det. Vicus und castellum hingegen bezeichneten einen ländlichen Ort.362 Im Gegen-
satz zu späteren Zeiten waren die Stadtbewohner und Bewohnerinnen der Antike
und der Spätantike stark mit dem Umland verbunden : Die urbanen Eliten setzten
sich aus reichen Grundbesitzerfamilien zusammen. 363
Im frühen Mittelalter veränderte sich dieses Konzept, da mit dem Rückzug der
antik-römischen Kultur auch deren Stadtidee unterging. Auf die Problematik, wie
man das Phänomen der „Stadt“ bzw. des „urbanen Zentrums“ im frühen Mittel-
alter überhaupt festmachen kann, ging Chris Wickham ein.364 Seine Kernkriterien
einer urbanen Siedlung sind : eine demografische Konzentration, ein Markt und
wirtschaftliche Aktivitäten, die sich von denen des Umlandes strukturell unter-
scheiden. Mit dieser Definition gerät man in den Alpen sehr schnell an Grenzen,
lassen sich doch genau diese Punkte im fraglichen Zeitraum meist gar nicht fest-
stellen. Einzig vom zentralen Alpenraum gibt es einige Quellen, da die Routen über
den Großen St. Bernhard und die Bündner Pässe ihre strategische und wirtschaft-
362 Demandt, Spätantike 367, 341.
363 Wickham, Framing 167.
364 Ebd. 591 ff.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361