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110 Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen
Erst bei Einhard findet man wieder das altbekannte Stilmittel der Antike, seinen
Helden – in diesem Fall Karl der Große – durch eine Alpenquerung zu überhö-
hen. Allerdings verwendet er das Stilmittel der Praeteritio, also der Auslassung. Er
schreibt : „Ich sollte an dieser Stelle eigentlich die großen Schwierigkeiten und An-
strengungen beschreiben, die Karl und seine Franken beim Alpenübergang nach
Italien überwinden mussten, als sie die unwegsamen Bergrücken, die hochragen-
den Felsen und zerklüfteten Gipfel überschritten“264, doch widmet er sich lieber
seiner Lebensweise. Er will also einen Topos der Antike anwenden, kann sich aber
nicht überwinden, es tatsächlich zu tun.
Im Hohen Mittelalter schließlich wird der Topos der „heldenhaften Alpenque-
rung“ wieder gerne verwendet. Ein gutes Beispiel ist der Zug Heinrich IV. im Jän-
ner 1077 nach Canossa, den Lampert von Hersfeld sehr farbig beschreibt.265 Man
findet bei ihm alle Bilder wieder, die schon von der Antike bekannt sind : Berge, die
(fast) in die Wolken ragen, schroffe Alpengipfel, eisbedeckte Hänge, die ein Fort-
kommen unmöglich machen.266 Allerdings wird der Topos hier glaubwürdig ein-
gesetzt : Heinrich IV. konnte keinen günstigen Zeitpunkt zur Querung abwarten,
sondern musste unverzüglich reisen, obwohl schlechtes Wetter oder ungünstige
Bedingungen dies eigentlich verbaten. Diese bekannte Tatsache nützte der Autor,
um die Beschwerlichkeit noch hervorzuheben und vielleicht auch um anzudeuten,
dass Gott Heinrich IV. in dieser Situation eben nicht zu Hilfe kam.
Zusammenfassung
Die römische Wahrnehmung der Alpen wurde zunächst von der imposanten Er-
scheinung des Gebirges von der Poebene aus geprägt. Damit verbunden war die
Annahme, dass die schroffen Wände und unwegsamen Täler der Berge feindli-
che Mächte davon abhalten konnten, die italische Halbinsel zu bedrohen. Diese
Wahrnehmung stand der Erfahrung entgegen, die die Römer immer wieder mit
Angreifern gemacht hatten, die entweder aus den Alpen selbst kamen oder sich
vom Gebirge nicht im Geringsten abhalten ließen. Die Eroberungen der Römer,
die um die Zeitwende ganz Gallien und das Land jenseits der Alpen bis zur Donau
264 Einhardus, Vita Karoli Magni c. 6 : „Italiam intranti quam difficilis Alpium transitus fuerit, quanto-
que Francorum labore invia montium iuga et eminentes in caelum scopuli atque asperae cautes
superatae sint, hoc loco describerem, nisi vitae illius modum potius quam bellorum quae gessit
eventus memoriae mandare praesenti opere animo esset propositum.“
265 Lambert von Hersfeld Annalen a. 1077.
266 Analog zu Ammianus Marcellinus XV 10 und Livius XXI 36.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361