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Grenzen in den Alpen 95
dürften in der Nachfolge der Franken (siehe oben) ihr Gebiet über den Brenner
Richtung Süden nach und nach durch die Eroberung von Festen ausgedehnt ha-
ben.189 787 war die Grenze zu Baiern wohl bei Bozen und es könnte sich dort eine
Klause befunden haben.190 Allerdings, wie man am Beispiel der byzantinischen
Festungen und der wechselhaften Geschichte der Etschtaler Burgen gesehen hat,
bedeutet die Kontrolle über eine Feste nicht notwendigerweise auch die Kontrolle
über das umliegende Territorium. Wie die Versorgung solcher befestigten Punkte
dann ausgesehen haben mag, ist völlig unklar, möglicherweise spielte dabei die
Einhebung von Zöllen und Mauten eine Rolle : Das Zollwesen funktionierte in den
Alpen den Quellen nach auch im frühen Mittelalter.191
Slawisch-Awarische Grenzstrukturen
In den Ostalpen konnten die Awaren mit slawischer Hilfe das Gebirge bis etwa
zur Linie Innichen–Alpenhauptkamm–nördliche Kalkalpen–untere Enns unter
Kon trolle bringen.192 Die Eroberung des Raumes erfolgte möglicherweise aus
strategischen Gründen, um die Macht von Franken und Baiern zu schwächen
und eventuell den Langobarden in Oberitalien den Rücken zu stärken.193 Nach
der Niederlage der Awaren vor Konstantinopel 626 könnten sich die Slawen der
Ostalpen selbstständig gemacht haben. Ebenfalls unabhängig waren die Slawen
nordöstlich der Alpen unter dem wohl fränkischen Kaufmann Samo ; ob Teile des
Gebirges diesem Reich angehörten, wird in der Forschung diskutiert, aber im Mo-
ment eher mit Nein beantwortet.194 Nach einer längeren Quellenlücke erscheint
Mitte des 8. Jh. das slawische Reich der Karantanen mit seinem Kernraum im
heutigen Zollfeld. Seine Wurzeln dürften im 7. Jh. liegen.195 Die südlich davon
liegende Karniola/Krain war ebenfalls von Slawen kontrolliert, die ebenso selbst-
189 Paulus Diaconus Hist. Lang. V 36.
190 Landi, Die spätantik-frühmittelalterlichen Castra 90. Der heutige Weg durch die Eisackschlucht
zwischen Säben und Bozen war nach dem Verfall der Römerstraße unpassierbar. Der Weg führte
damals über den Ritten. Brunner, Herzogtümer und Marken 203.
191 Siehe Kapitel „Fernhandel“ ab S. 157 ; Duparc, Les cluses 30.
192 Wolfram, Grenzen und Räume 215.
193 Szameit, Zum archäologischen Bild der frühen Slawen 517. Zu den möglichen Hintergründen der
awarischen Eroberung des Ostalpenraumes : Pohl, Awaren 149 ff.
194 Pohl, Awaren 256 ff.; Wolfram, Grenzen und Räume 80 ; Krahwinkler, Friaul 45 ; Kahl, Der Staat
der Karantanen 79 f.; Gleirscher, Karantanien 24 ; Szameit, Zum archäologischen Bild der frühen
Slawen 520.
195 Dazu ausführlich im Kapitel „Der Ostalpenraum : Von Binnennoridum zu Karantanien“ ab S. 319 ;
Wolfram, Grenzen und Räume 301 ff.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361