Seite - 284 - in Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
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284 Menschen in den Alpen
Die Gebiete oberhalb der Baumgrenze wurden nur saisonal als Almen ge-
braucht. Je nach Höhe und geografischer Lage konnte die Nutzung zwei bis fünf
Monate umfassen. Schon in römischer Zeit werden hochalpine Schäfer erwähnt.652
Im Testament des Abbo werden drei im Inneren der Alpen arbeitende Hirten aus-
drücklich genannt (siehe Abbildung 22 auf S. 303). Auch das abgelegene Ödland
der Alpen wurde also schon begangen. Berge werden ebenfalls schon in frühen
Quellen genannt. In der Donatio Sestenis aus dem Jahr 762 wird ein ganzer Berg in
der Carnia – das Gebirge am Oberlauf des Tagliamento – als Weidegrund zwischen
den beiden auszustattenden Klöstern aufgeteilt.653
Die erzählenden Quellen erwähnen die marginalen und einsameren Zonen der
Alpen selten und in den Urkunden erscheint nur wirtschaftlich nutzbares Land.
Begriffe wie solitudo, heremus oder desertum sind in den Hagiografien topisch ge-
nutzt und dienten der Darstellung besonderer mönchischer Gesinnung. Selten be-
schrieben sie wirkliche Einöden.654 Die Bezeichnung „Einöde“ in den Urkunden
schloss dazu eine Bewirtschaftung nicht aus. Man kann unter den alpinen Einöden
des frühen Mittelalters Schweineweiden („porcorum pascua in deserto“655) oder
sogar einen bewohnten Platz finden („Dedit in heremo eiusdem loci appendente
locellum, qui dicitur Eselwanch“656).
Bevölkerung
Das tägliche Leben in den Alpen unterschied sich nicht viel von dem des umlie-
genden Flachlandes. Mit nur wenigen Ausnahmen galt für das gesamte frühmit-
telalterliche Europa, dass auch die reichsten Menschen und Hochadeligen eine
sehr bescheidene materielle Kultur im Vergleich zu der des Römischen Reiches
hatten. Noch um das Jahr 1000 benutzte der Großteil der Bevölkerung – auch
Wohlhabende – Geschirr aus Holz, wie Ausgrabungen zeigen.657 Auch die Wohn-
häuser waren im Vergleich zu vorherigen Epochen bescheiden (s. o.). Dennoch
652 Claudius Claudianus MGH Auct. ant. X, S. 272.
653 Krahwinkler, Friaul 91. Schon im 8. und 9. Jh. werden in den Urkunden Bergnamen genannt, oft zur
Markierung der Grenzen. Beispielsweise in : Trad. Schäftlarn Nr. 15 a. 801–813 ed. Weissthanner 24
ein Berg namens „Helmrichessteti“ ; Nr. 20 a. 806 28 ein Berg „Othrami“ ; in NA 6.27 „Ad Oriano
monte“, 7.8 „Lacuana monte“ ed. Lošek 80, 82.
654 Über den Begriff eremus in der Vita des Severin : Diesenberger, Topographie und Gemeinschaft 90 ff.
655 Trad. Freis. ed. Bitterauf Nr. 10 (757) S. 37.
656 BN 7.7 ed. Lošek 96.
657 Für die Westalpen : Colardelle/Verdel, Chevaliers-paysans de l’an mil 50.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361