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72 Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen
Krieg wäre.54 Auch in Rätien dürfte die Verteidigung von einem einheimischen
Dux geleitet worden sein.55 Die Bestallungsurkunde des rätischen Dux sprach von
der Provinz : „Raetiae namque munimina sunt Italiae et claustra provinciae“.56 Das
Kastell Verruca bei Trient wird von Cassiodor als „castrum paene in mundo singu-
lare, tenens claustra provinciae“57 bezeichnet. Hier finden sich also erneut die To-
poi munimina und claustra. In diesem Zusammenhang offenbart sich deutlich der
militärische Charakter dieser Worte, es ist ein spezieller Teil der Alpen gemeint,
der in dieser Zeit besonders gesichert werden musste. Gleichzeitig wird der Topos
der Alpen als Schutzmauer wiederholt. Diese Quellenstelle zeigt, dass der Alpen-
raum in gotischer Zeit noch als „ein zu Italien gehörender Schutzwall“ empfunden
wurde.58 Auch in Noricum kann man eine militärische Präsenz in den befestigten
Höhensiedlungen annehmen. Goten werden in den schriftlichen Quellen zwar
nicht eigens erwähnt, archäologisch könnte das Gräberfeld am Hemmaberg aber
durchaus dem gotischen Militär zugeordnet werden.59 Die genauen Grenzen des
gotischen Reiches nördlich der Alpen sind unklar, über sie wird nach wie vor
diskutiert. Das Gebirge selbst gehörte jedenfalls zum Herrschaftsbereich Theo-
derichs.60 Prokopios lokalisiert Siskier und schon lange hier ansässige Sueben im
Raum der antiken Savia, heute der Raum der oberen Save. Nördlich von ihnen
sieht er Noriker und Carni, die alle bis zum Ausbruch des Krieges unter gotischer
Herrschaft gewesen wären.61 Letztere siedelten laut antiker Geografie südlich der
Karnischen Alpen und Karawanken.62 Die gotische Herrschaft innerhalb des Ge-
birges bedeutet auch, dass die spätantike Verwaltung mindestens bis zu diesem
Zeitpunkt fortbestand.
Gotenkriege und Franken in den Alpen
Nach dem Tode Theoderichs zerbrach das gotische Reich in Italien. In den Krie-
gen um die Nachfolge wurde auch der Alpenraum in die Kampfhandlungen und
54 Cassiodor Var. I 11 ; Wolfram, Grenzen und Räume 64 f. und Die Goten 316 ; Heitmeier, Inntal 173.
55 Kaiser, Churrätien 25.
56 Cassiodor Var. VII 4.
57 Cassiodor Var. III 48.
58 Schneider, Fränkische Alpenpolitik 48.
59 Gleirscher, Karantanien 14 f.; Gassner (Hg.), Am Rande des Reiches 368 ; Cassiodor Var. III 50.
60 Zur Diskussion über die Grenzen im raetischen und norischen Raum um 500 : Menke, Alemannisch-
italische Beziehungen 134 und 158 f.; Wolfram, Grenzen und Räume 75 ; Kaiser, Churrätien 29.
61 Prokopios, Bell. Got. I (V) 15.26–27 ed. Dewing 156 ; Wolfram, Mitteleuropa 73. Zur Zugehörigkeit
des Inntals zu Italien siehe Heitmeier, Inntal 211.
62 Plinius d. Ä. Nat. Hist. III 5.38 ; Krahwinkler, Friaul 12 ; Kahl, Der Staat der Karantanen 60.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361