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90 Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen
das Kloster Novalesa am Fuß des Mont Cenis. Der den Karolingern nahestehende
provenzalische Patrizier Abbo übereignete dem Kloster im Jahr 739 zahlreiche
Güter in den gesamten südlichen Westalpen und machte es damit zu der bedeu-
tendsten Macht entlang dieser Passstraße. Zu dem Besitzkomplex gehörten auch
Anwesen, die infra regnum Langobardorum oder infra fines Langobardorum gelegen
waren.161
Die in den Quellen aus dem Ende des 8. Jh. in der Stadt Salzburg auftretenden
exercitales waren an eine Burg, das castrum superius, gebunden. Die exercitales wer-
den mit den milites gleichgesetzt, Menschen die persönlich frei, aber an das Land
gebunden waren. Dieser Stand hatte sich aus der Funktion der römischen Grenz-
soldaten entwickelt.162 Das antike Iuvavum lag am Ausgang der Alpen, wo sich die
verschiedensten Routen aus Italien trafen. Die Salzburger exercitales waren daher,
wie die Inntaler Breonen, wohl ebenfalls eine Art Bergwächter. Auch hier über-
nimmt im Laufe des 8. Jh. ein Kloster zumindest Teile der Organisation, denn bei
der Gründung des Klosters Nonnberg wurden auch exercitiales homines mit überge-
ben. Die Vorsteherinnen des Klosters standen dem agilolfingischen Herzogshaus
nahe und halfen damit direkt bei der Ausübung der Herrschaft.163
Befestigungen
Im frühen Mittelalter orientierten sich Grenzen und Grenzräume in den Alpen an
den Talausgängen und den dort liegenden Befestigungen, die in romanischen Spra-
chen cluse, auf Deutsch Klause genannt werden.164 Diese Worte stammen vom latei-
nischen clusa ab, ein Ausdruck, der vor allem in den fränkischen Quellen des 8. Jh.
zu finden ist.165 Andere Quellen der Zeit nutzen noch den antiken Ausdruck claus-
tra, der spätestens ab Cassiodor überwiegend in einer militärischen Bedeutung be-
nutzt wurde.166 Alle diese Worte bedeuten das Gleiche, nämlich „Sperre“. Jordanes
161 Testament des Abbon ed. Cipolla, Monumenta novaliciensia vetustiora 22 und Geary, Aristocracy
44 ; Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel (G. Barruol, H. Falque-Vert) 248 f.
162 Wolfram, Grenzen und Räume 334. Dazu mehr im Kapitel „Der zentrale Alpen- und Voralpenraum“
ab S. 206.
163 Notitia Arnonis 7.7 ed. Lošek 83 ; Jahn, Ducatus 88 u. 96.
164 Die im deutschsprachigen Raum vorkommenden „Klausen“ sind eher ein Hinweis auf die mit-
telalterliche und neuzeitliche Holzflößerei in Gebirgsbächen. Vogel, Historische wasserbauliche
Holzbringungsanlagen im Alpenraum 171 und 174. Manche werden jedoch als Engstelle im Tal
gedeutet. Eindeutig ist z. B. Klausen bei Säben.
165 Annales Regni Francorum a. 773, a. 817 ; Divisio Regnorum 806 MGH Capit. 1 Nr. 45, S. 127. Dup-
arc, Les cluses 7 f.
166 Cassiodor Var. VII 4. „Raetiae namque munimina sunt Italiae et claustra provinciae : quae non im-
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361