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Grenzen in den Alpen 83
Grenzen in den Alpen
Konzept
Die oben erkennbaren Schwierigkeiten, die Grenzlinien zwischen den Mächten im
Alpenraum zu rekonstruieren, liegen auch an dem Unterschied zwischen damali-
ger und heutiger Auffassung von „Grenze“. Die Römer hatten einen universalen
Machtanspruch als Weltherrscher : Sie sahen sich als rechtmäßige Herren über die
bekannte Welt. Theoretisch war das römische Reich also grenzenlos, rein praktisch
hatte das Imperium natürlich Grenzen, die gezogen und gehalten werden muss-
ten.122 Die Völkerwanderung und die Entstehung der barbarischen Reiche auf dem
Boden des ehemaligen Römischen Imperiums brachten dieser Idee jedoch ein Ende.
Die barbarischen Königreiche hatten ganz eigene Grenzkonzepte, die sich mit den
antik-römischen Vorstellungen vermischten. Zusätzlich bedingten die heterogenen
Machtstrukturen, dass sich die Territorien der Reiche schnell verändern konnten.
Um Grenzen zu bezeichnen, benutzten die Römer die Begriffe finis, terminus und
limes, in karolingischer Zeit wurde auch das Wort marca gebraucht. Dieses Wort
bezeichnete daneben eine eigene, räumliche Grenzorganisation der Marken.123
Dass Grenzräume eigens und großflächig organisiert waren, zeigt, dass Grenzen
als mehrdimensionale Räume und nicht linear aufgefasst wurden.124 Die fränki-
schen Herrscher hatten trotzdem eine sehr genaue Vorstellung von den Grenzen
ihres Territoriums125, obwohl sich die Gegebenheiten regional sehr schnell ändern
konnten, wie der weiter unten behandelte Grenzsaum am Südfuß der Alpen zeigt.
Für die umliegenden Großreiche waren zunächst nur die großen Alpenüber-
gänge und Zubringertäler von größter Wichtigkeit. Hier wurden die Befestigungen
ausgebaut und die Herrschaft kontrolliert, die Überlieferungslage ist entsprechend
gut. Die politische Zugehörigkeit der Hauptverkehrsachsen kann daher gut rekon-
struiert werden, ebenso sind die Grenzpunkte und deren Organisation teilweise
recht deutlich zu erkennen. Im Gegensatz dazu scheinen die Nebenachsen sowie
weniger bedrohte Räume als diffuse Regionen, in denen klare Grenzen schwer zu
erfassen sind. Dies liegt nicht nur an der Überlieferungslage sondern dürfte durch-
aus der Realität entsprochen haben.126
122 Heather, The late Roman art of client management 18 ; Arce, Frontiers of the late Romane Empire
9 f.
123 Wolfram, The creation of the Carolingian frontier system 235. Interessanterweise wurden alle diese
Worte ganz von dem aus dem slawischen kommenden „Grenze“ verdeckt.
124 Pohl, Frontiers in Lombard Italy 128 f. und 133 f.
125 Goetz, Concepts of realm 80.
126 Das bedeutet allerdings nicht, dass das Gebirge nicht schon genauso grundherrschaftlich organi-
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361