Seite - 228 - in Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
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228 Menschen in den Alpen
Alemannisches und bairisches Voralpenland
Die wichtigen Klostergründungen im Raum Bodensee berührten den Alpenraum
zunächst kaum. Das älteste Kloster, St. Gallen, wurde 615 als Einsiedelei vom Co-
lumban-Schüler Gallus gegründet. Etwas mehr als 100 Jahre später errichtete Ot-
mar am Platz dieser vielleicht gar nicht mehr bestehenden Zelle eine große klös-
terliche Gemeinschaft. Diese Gründung war sowohl dem Bischof von Konstanz
als auch dem von Chur ein Dorn im Auge. Der Bischof von Konstanz verurteilte
und verbannte Otmar, und Bischof Victor von Chur versuchte sich des ungeliebten
Konkurrenten zu entledigen, indem er die Reliquien des Gallus auf unrechtmäßige
Art und Weise zu erlangen suchte.319 Dabei war St. Gallen eigentlich durchaus
mit Chur verbunden, da Otmar dort zum Priester ausgebildet worden war.320 Die
Verbindung zu den großen Verkehrsrouten hatte St. Gallen vor allem durch den
Hafen, der etwa 8 km von der Abtei entfernt an der Mündung des durch St. Gallen
laufenden Flüsschens Steinach in den Bodensee lag.321 Das bedeutende Kloster
Reichenau wurde 724 nahe Konstanz gegründet und hatte, wie auch St. Gallen, für
den Alpenraum wenig Auswirkungen, da seine Strahlkraft vor allem den alemanni-
schen Raum betraf. Aber auch Reichenau profitierte von der Nähe Churs : Mönche
wurden von Reichenau nach Pfäfers „zur Instruktion“ abgeordnet.322
Im nördlichen Voralpenraum gab es in der zweiten Hälfte des 8. Jh. einen regel-
rechten Gründungsboom : Mehr als ein Dutzend Klöster entstanden in dieser Zeit.
Die wichtigsten der direkt am Alpenrand liegenden Konvente waren Benediktbeu-
ren (um 740), Mondsee (um 748), Kochel am See (um 750), Tegernsee (um 760),
Scharnitz (763, 772 verlegt in das nahe Schlehdorf), Schliersee (um 770), Krems-
münster (777), Herrenchiemsee (765) und Frauenchiemsee (782) sowie Mattsee
(um 784). Diese Klöster übten aufgrund ihrer Lage an den Verkehrswegen Einfluss
auf den Alpenraum aus. Dies kann man sehr gut an der Abbildung B und C auf
S. 354 und 355 am Ende dieses Buches sehen.
Besonders die Stiftergruppe der Klöster von Scharnitz/Schlehdorf, Benedikt-
beuren und Schäftlarn scheint die Verkehrsrouten des nördlichen Alpenvorlandes
kontrolliert zu haben.323 Diese drei Klöster liegen meist an oder nahe den alten
Römerwegen über die Alpen. Benediktbeuren wurde 739 mithilfe des Bonifatius
319 Jäggi, Vom römischen Pantheon 125.
320 Tremp (Hg.), Eremus und Insula 33 ; Kaiser, Churrätien 101.
321 Tremp (Hg.), Eremus und Insula 15.
322 LexMa „Reichenau“ (A. Zettler).
323 Störmer, Fernstraße und Kloster 306 f. Die Gruppe stand seiner Meinung nach dem karolingischen
Königshaus nahe, wie auch Füssen, 339 ff.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361