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60 Naturraum Alpen
Zusammenfassung
Die Form und Ausrichtung der Alpen bewirkt eine große Anzahl von lokalen Kli-
mata in diesem mitteleuropäischen Gebirge. Die Bandbreite reicht von großer
Trockenheit und Wärme im Gebirgsinneren bis zu einem für den Menschen eher
unfreundlichen, feuchtkalten Klima in vielen Gebirgsrandlagen. Viele Alpentäler
und Mittelgebirgsterrassen bieten den menschlichen Bewohnern ein Klima, das
sich – verglichen mit dem der benachbarten „Flachländer“ – nicht wesentlich un-
terscheidet. Außerdem muss bedacht werden, dass weitaus extremere und abge-
legenere Gegenden als die Alpen seit Jahrtausenden kontinuierlich bewohnt sind.
Beispiele dafür wären die mongolische Steppe mit einer Durchschnittstemperatur
von –15 °C (Ulan Bator) und 0 mm Niederschlag im Jänner sowie einer Vegetati-
onsperiode von maximal vier Monaten. Auch der Norden Europas kann teilweise
dichtest besiedelte Gebiete aufweisen, die wesentlich schwierigere klimatische Be-
dingungen haben als die meisten Täler der Alpen.
Paradoxerweise sind die Täler und Hügel der nördlichen alpinen Randzonen
– trotz ihrer viel niedrigeren Lage – ungünstiger für die Landwirtschaft als die
hoch gelegenen Täler und Hänge innerhalb der Alpen. Allerdings kann hier die
Trockenheit zu einem Problem werden.
Negativ wirkt sich das Klima der Alpen vor allem auf die Verbindung nach au-
ßen aus : Bedrohung durch Muren und Lawinen lassen die Kommunikation abbre-
chen, Schnee und Hochwasser können auch heute noch Täler von der Außenwelt
abschneiden und jede Fortbewegung mühsam bis unmöglich machen. In früheren
Zeiten waren so manche abgelegenen Täler und Siedlungen jeden Winter wochen-
lang von der Außenwelt abgeschnitten. Auch Händlern, Pilgern und Pilgerinnen
oder Heeren war eine Querung der Alpen bei schlechter Witterung nicht möglich,
und sie saßen lange Zeit fest. So wurden im Dezember/Jänner 1128/29 der Abt
Rudolf von St. Trond und seine Begleiter im Aostatal eingeschneit und mussten
mit zahlreichen Mitreisenden in St. Rhemy auf besseres Wetter warten. Die Berg-
führer, die den Weg sondierten, wurden sogar von einer Lawine verschüttet.166
Die lokalen Klimata reagieren auf Änderungen der europäischen Klimagroß-
räume. Für das frühe Mittelalter zwischen 500 und 900 zeigen die verfügbaren
Daten eine Zunahme der Gletscher an, daher wird zumindest zeitweise eine kli-
matische Verschlechterung angenommen. Allerdings sind das Ausmaß und die
genaue Wirkung noch schlecht erforscht. Am ehesten kann man eine verstärkte
166 Gesta abbatum Trudonensium XII 6, MGH SS 10 S. 307 ; Rohr, Extreme Naturereignisse im Ostal-
penraum 401 f.; Scheffel, Verkehrsgeschichte der Alpen 27.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361