Seite - 285 - in Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Bild der Seite - 285 -
Text der Seite - 285 -
Bevölkerung 285
gab es auch in den Alpen teilweise beträchtliche gesellschaftliche Unterschiede.
Zahlreiche Sagen der Alpen berichten über Parallelwelten und eigenartige Men-
schen. Diese Erzählungen wurzeln auch in den Ungleichheiten zwischen Arm und
Reich. Exemplarisch sei hier eine Legende aus den Westalpen angeführt : Sie han-
delt von seltsamen Nicht-Menschen, die in Strohhütten weit entfernt vom Dorf
wohnten, besonders klein und in grobe Tücher gekleidet waren und nicht einmal
Feuer hatten. Sie mussten es im Dorf von den „richtigen“ Menschen holen.658 Die
Legenden von Waldmenschen entstammen ähnlichen Grundlagen und zeigen,
dass Menschen außerhalb der Gesellschaft in den mittelalterlichen Alpen wohl
keine Seltenheit waren. Zu diesen Gruppen gehören auch Räuber und Banditen.
Das Gebirge war aufgrund der unübersichtlichen Topografie schon seit jeher ein
Fluchtort für Geächtete und Räuber. Dies führte in der Antike sogar zu einem
ausgeprägten Topos, allerdings mit wahrem Kern.659 In der Spätantike schlossen
sich in einigen Provinzen des Imperiums größere Gruppen von besitzlosen und
unterprivilegierten Menschen, genannt Bagauden, zusammen, um vor allem durch
Raub ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.660 Diese Gruppen dürften auch in den
Westalpen agiert haben.661 Inwieweit sie noch im frühen Mittelalter eine Bedro-
hung waren oder eine Nachwirkung auf die alpine Gesellschaft hatten, ist schwer
zu sagen. Die Gefahr durch Räuber ist in den (allerdings kargen) Quellen des frü-
hen Mittelalters kaum ein Thema.
Migration
Eine kleine Bemerkung vorneweg zur Terminologie :662 In den letzten Jahren gab
es sowohl in der Archäologie als auch in der Geschichtswissenschaft einen Wandel
in der Definition von „Stamm“ oder „Volk“. Wenn hier also von „den Aleman-
nen“, „den Slawen“ oder „den Romanen“ die Rede ist, dann ist darunter weniger
eine einheitliche Abstammungs- und Kulturgemeinschaft gemeint, sondern eine
Gruppe von Menschen, die sich unter diesem Namen vereinigten und agierten.
658 Rousset, Au pays de la Meije 176.
659 Strabon IV 6,9 ; Lafer, Securitas hominibus 129 ff. Siehe dazu auch im Kapitel „Wahrnehmung der
Alpen“ ab S. 102 zur Legende des heiligen Martin.
660 Auch Barbaren, entflohene Sklaven und desertierte Soldaten schlossen sich ihnen an. Sie konnten
besonders im 5. Jh. regional sehr stark werden : 409 vertrieben sie in Britannien und Aremorica die
Barbaren und danach die römischen Beamten. Demandt, Spätantike 298 f.
661 Lebecq, origines franques 25 ; Leguay (Hg.), Savoie 304 meint sogar, die Bagauden agierten „parti-
culièrement dans les Alpes“.
662 Siehe dazu auch die Einführung.
zurück zum
Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361