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70 KAPITEL2. KINDHEIT
baren Situationen im Traum heimgesucht wurde, in denen er damals machtlos zusehen
mußte, wie die ihm anvertrauten Soldaten ringsum reihenweise imKugelhagel niederge-
mähtwurden.Nicht zuletzt dasBilddes vor ihmknieendenSoldaten, der überdies früher
sein Schüler in seiner Schulewar, der vielleichtMinuten später schon vonKugeln durch-
siebt wurde, hat ihn niemehr losgelassen. Von therapeutischer Betreuung hatteman zu
jenerZeitnochnichts gehört, ohnedie eineVerarbeitungderartigerTraumatakaummehr
gelingen kann.
Die von mir hier versuchte örtliche und zeitliche Einordnung seines Einsatzes an der
Ostfront sowie einFragebogeneintrag53 erklärt seineAnwesenheit bei denog.Hochzeiten,
beispielsweise im Juni 1944. Danach war er ab dem 1.4.1944 im Lazarett und ab dem
6.1.1945 bei einerAbnahmeinspektion als Sachbearbeiter bis zum1.5.1945 tätig. Daraus
ist zu schließen, daß er seinen restlichen militärischen Dienst in den letzten 12 Kriegs-
monaten in einemnicht allzu großenUmkreis umdie fränkischeHeimat ableistete, denn
sowohl vonOstenwie auch vonWesten rückten die russischen und alliiertenTruppen in
dieser Zeit auf und durch Deutschland vor. Wo diese Dienstorte im Einzelnen gewesen
sein könnten, konnte ich leider nicht inErfahrung bringen.
EinemDokument vom 2.6.1945 in seinem Personalakt54 ist zu entnehmen, daß er an
diesemTag aus demGefangenenlagerEmling inBockhorn (PLZ85461) entlassenwurde.
Daraus ist zu schließen, daß er an seinem letzten Einsatzort von den Amerikanern für
kurzeZeit alsKriegsgefangener inhaftiert55und indiesesLager verbrachtwurde. Ichweiß
nur, daß er nach Kriegsende wohl von diesem Lager nach Hause die weite Strecke zu
Fuß zurückgelegt hat und zwar weitgehend bei Nacht. Denn für jeden deutschen Soldat
war bei Kriegsende die Gefahr einer weiteren Kriegsgefangenschaft gegeben, der mein
Vater auf diese Weise entgangen ist. Eine vage Erinnerung sagt mir, daß er am Ende
seines Marsches über Heideck nach Gmünd herein gewandert kam, was mit den obigen
Angaben in Übereinstimmung ist. Bei diesem Fußmarsch kamen ihm als Lehrer seine
guten geographischenOrtskenntnisse zugute.
Jedenfalls kann ich mich noch daran erinnern, wie ein völlig erschöpfter und ausge-
mergelterMann eines Tages, vermutlich noch imMai 1945, wieder in unsererWohnung
aufgetaucht war. Nach Jahren überwiegender Abwesenheit war er mir, der bis dahin in
einemsehrweiblich geprägten gesellschaftlichenUmfeld aufwachsenmußte,56 fastwie ein
53Fragebogen vom8.2.1947, S.80ff, aaO. Fußnote 14.
54aaO.Fußnote 14.
55Siehe auchLebenslauf vom18.5.1956, Personalakt S.126f, aaO. Fußnote 14.
56Nebendenverwandtschaftlichenund freundschaftlichenKreisenmeinerMutter, die natürlicherweise
von Frauen geprägt waren, wurde ich auch zunehmend in die gleichermaßen weiblichen Kreise meiner
Schwester eingebunden,wiebeispielsweise dasdritteBild auf S.41 inFAWB2eindrucksvoll demonstriert.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427