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3.1. ENDEDERGYMNASIALZEIT 167
DieBeteiligungvonReferendar|inn|enbedeuteteaberauchderenEinsatzalsLehrende.
Das ging solange problemlos, wie unser hauptamtlicher Lehrer und die anderenReferen-
dare einer solchen Probestunde beiwohnten.Wir bekamen natürlich mit, daß die ganze
Gruppe nach einer derartigen Stunde draußen amGang über den Ablauf der vorange-
gangenen Stunde eifrig diskutierte. Dadurchwurde uns ein gutes Bild davon vermittelt,
wie diese Seminare abliefen.Vor allemwurdeuns sodie fehlendeAutorität einesReferen-
dars deutlich demonstriert. Hinzu kamnoch, daß einige derReferendaremitNachnamen
bestraft waren, die ihrerAutorität auch nicht gerade förderlichwaren. So hieß einer bei-
spielsweise Blödel , ein anderer Pfotenhauer , ein dritter Mau .
Nunwurden diese jungen und unerfahrenenMenschen leider auch ganz ohneAufsicht
auf uns losgelassen.Auf dieseWeise konntemandenMangel ebensowie den krankheits-
bedingtenAusfall anLehrpersonal ja leicht undbillig kompensieren.Es gehört dahernun
nicht viel Fantasie dazu sich vorzustellen, wie 32 halbstarke Schüler eine solcheGelegen-
heit schamlos ausnützen: auf der einen Seite der unsichere junge Herr Blödel (wenn ich
mich in der Person nicht sehr täusche), der unter einem ungeheuren Bewährungsdruck
imHinblick auf seine bevorstehende Staatsprüfung steht, und auf derGegenseite ein un-
erbittlicher Schülerhaufen, der endlich einmal von dem sonstigenAutoritätsdruck befreit
ist und sich beliebig gehen lassen kann. Diese Art von Stunden haben die Disziplin in
unsererKlasse auf Jahre hin nachhaltig untergraben. In einer der Stunden in der fünften
oder sechstenKlassekulminiertederKampfbuchstäblich sogarzueinerHandgreiflichkeit.
HerrBlödel kamwütendundmit geballtenFäustenaufmich inder letztenBankreihe zu,
sodaß ich geistesgegenwärtig sofort in Verteidigungsstellung bzw. ebenfalls Angriffsstel-
lungmit ebenfalls geballtenFäustenging.Die ersteTouchierungmachte ihmgottseidank
klar, daß er so imHinblick auf seinemangelndeAutorität nur nochmehr verlieren konn-
te. Entmutigt ließ er von mir ab. Meine Rolle dabei wurde von den Kameraden noch
bei Jahrzehnte später stattfindenden Klassentreffen quasi als unvergeßliche Heldentat
inErinnerung gehalten.
Wie ist zu erklären, daß ausgerechnet ich diesen Höhepunkt in unserem kollektiven
Klassenverhalten provozieren konnte? Mein Abiturzeugnis charakterisiert mich als der
immer freundliche Schüler .Wie paßt eine solcheCharakterisierung zu einemBoxkampf
zwischenLehrerundSchüler?Dazuerinnere ichandas,was ich imAbschnitt 2.5 in einem
ähnlichen Zusammenhang dasRuisinger-Phänomen genannt habe und unter das ich be-
reits drei beschriebene frühereVorkommnisse eingeordnet habe. Ich sehe denKampfmit
Blödel als das vierte in diesen Seiten beschriebene, das ich darunter einordnenmöchte.
Wieder wird ein Mensch von mir so gereizt, daß er völlig die Fassung verliert. Wieder
erinnere ichmich überhaupt nicht,was anmeinemdamaligenVerhalten seineWut so er-
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427