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212 KAPITEL3. ZIELSUCHE
standen sich auf Anhieb so gut, daß sie amEnde des langen Tages beschlossen, sich zu
zweit noch in unsererWohnung zu einer letzten gemeinsamen, aus demKeller geholten
FlascheWeines gemütlich zusammenzusetzen,während ich schon tief und fest imZimmer
daneben schlief. Das war eindeutig der höchste Besuch, der sich in unsererWohnung je
einfand.
Vor denGemeindewahlen 1960 (und der Bundestagswahl im September 1961) organi-
sierte dieNürnberger FDPuntermeinemVater am17.3.1960 eine großeParteiveranstal-
tung imMessehaus.107AlsHauptrednerhatte erdendamaligenFDPBundesvorsitzenden
ErichMende eingeladen, der sich auch in den Jahren danachnochmehrfach inNürnberg
einfand.Diesdürfte einederwenigen,wennnichtdie einzigeParteiveranstaltunggewesen
sein, an der auch ich damals zusammenmitmeinerMutter teilnahm. Ich verfolg-
te dasGeschehen aufmerksam, hörte genau auf die vorgetragenen Inhalte und ließmich
ausmeiner kritischenDistanz nicht hervorlocken. ImVergleich zu demaalglattenMende
wirkten dieAusführungenmeinesVaters angespannt und hölzern. Eine großeBühnemit
vielen Hunderten von Zuhörern war er offensichtlich nicht gewohnt. Mende hielt einen
kleinen Notizzettel in der Hand und redete lange ohne jegliches weiteres Manuskript,
gleichwohl gut strukturiert und in wohlgeschliffenen Sätzen. Diese Fähigkeit zur völlig
freien Rede beeindruckte meinen Vater zutiefst. Er selbst mußte sich auf seine Reden
dagegen detailliert vorbereiten undwar ohneManuskript eher hilflos.DieseVeranlagung
habe ich von ihm vererbt bekommen. Redner wirken zweifellos überzeugender, wenn es
so ausschaut, als kämen ihreAussagen spontan aus ihrem tiefsten Inneren undnicht von
einemvorliegendenManuskript.Dabei hat dieseFähigkeit zur völlig freienRede objektiv
überhauptnichtsmitderGlaubwürdigkeit derAussagen zu tun, sondernberuht auf einer
entsprechend veranlagten Hirnstruktur, die mit dem Inhalt von Aussagen nichts zu tun
hat.Gleichwohl gelingt es denMendes, dieBibels inderÖffentlichkeit alleinwegendieses
angeborenenUnterschieds schnell auch inhaltlich in den Schatten zu stellen.
Die Stadträte vonMünchen undNürnberg vereinbarten 1960 regelmäßigeTreffen zum
gegenseitenErfahrungsaustausch, was dann 1961 sogar zumBeschluß eines umfassenden
Städtevergleiches führte.SokamderMünchenerStadtratunterderLeitungvonOberbür-
germeisterHans-JochenVogel am13.10.1960 zumBesuchnachNürnberg.108Nach einem
Gegenbesuch inMünchen fand etliche Zeit später etwa 1963 inMünchen im alten Rat-
haussaal der Deutsche Städtetag statt. Als einladender OB saß Vogel auf demPodium,
während Hans Bibel als Delegierter seinen Platz in einer der ersten Reihen wählte. Als
Vogel ihn erblickte, ging er vom Podium direkt zu ihm hinunter und begrüßte ihn mit
107FAHB6, S.23.
108FAHB6, S.20f.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427