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Forschungsgeschichte und Literatur 13
„Stamm“ gehörig angesehen. Die vorher dort ansässige Bevölkerung verschwand
in die „Siedlungsleere“.4 Spätere kleinere und größere Bevölkerungsbewegungen
wurden völlig negiert,5 ebenso wie die regionalen sprachlichen Entwicklungen,
die über Jahrhunderte bis in die heutige Zeit andauerten. So sprach man beispiels-
weise im heute Französisch sprechenden Teil der Alpen im Norden einen sehr
eigenen Dialekt, das Francoprovençal, und im Süden eine eigene Sprache, das
Occitan/Langue d’oc.6 Heute wird das Francoprovençal fast nur noch im italieni-
schen Aosta tal gesprochen, da der französische und Schweizer Teil der Alpen ihre
Sprache der in Frankreich üblichen Sprachnorm angepasst haben.7 Im Aostatal
hingegen wird das Francoprovençal wegen des Autonomiestatus der Region auch
in der Schule unterrichtet. Dies und das Selbstbestimmungsrecht der Region er-
klärt die Lebendigkeit dieses Dialektes dort.8 Das Occitan/Langue d’oc hingegen
erlitt ein ähnliches Schicksal wie die meisten Minderheiten- und Regionalsprachen
sowie Dialekte in Europa. Sie wurden seit dem Ende des 19. Jh. immer weniger ge-
sprochen, da sie nicht gefördert und oft sogar unterdrückt wurden. Die Geschichte
der romanischen Dialekte in den Zentralalpen und insbesondere des slawischen
in den Ostalpen reiht sich hier nahtlos ein.9 Die große Vielfalt der Sprachen und
Dialekte spiegelt die früheren sehr heterogenen Verhältnisse wider und zeigt die
komplexen sprachlichen, kulturellen und politischen Überlagerungen in den Alpen
der letzten 2.000 Jahre. Gerade die populäre Wissenschaft und die Selbstdarstel-
4 Mayer, Die Alpen als Staatsgrenze und Völkerbrücke 9 „das Land“ [Kärnten vor der slawischen
Besiedlung, Anm. d. Verfasserin] wurde „menschenleer“ ; Klein, Salzburg 276 „[…] nördlich der
Tauernkette [war das Land, Anm. d. Verfasserin] mit einer Ausnahme so gut wie leer, wenigstens
von Dauersiedlungen, geworden“. 277 : „der Pongau aber und benachbarte Landstücke […] blieben
[…] nun erst recht menschenleer“. Frühe Kirchenbauten im Land Salzburg 440 : „Das Alpenvorland
nördlich von Salzburg war in der Spätantike weitgehend siedlungsleer […]. Die Wiederbesiedlung
durch germanische Völkerschaften setzte in der 1. Hälfte des 6. Jh. ein.“ Heitmeyer, Inntal 103 zeigt
hingegen, dass die „Siedlungsleere“ im kaiserzeitlichen Südbayern im Wesentlichen auf eine ober-
flächliche Interpretation der Funde beruht. In den entsprechenden Abschnitten dieser Arbeit wird
das auch für andere Regionen der Ostalpen gezeigt werden.
5 Dazu genauer Kapitel „Migration“ ab S. 285.
6 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 270 (Médélice) ; Kremnitz, Okzitanisch 307 ff.
7 Diese entspringt schließlich dem französischen Zentralismus und entstammt dem Raum Paris.
Schmitt, Französisch 291.
8 Martin/Stich, Frankoprovenzalisch 275 ff.
9 Siehe die entsprechenden Einträge „Friaulisch/Friulanisch“, „Rätoromanisch“, in der Wieser Enzy-
klopädie „Sprachen des europäischen Westens“ sowie die Einträge „Urslawisch“ und „Slowenisch“
in der Wieser Enzyklopädie „Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens“ zur sprachlichen
Entwicklung in den Ostalpen. Dazu auch http ://nsks.at/deutsch/ ?cat=22, eine Broschüre aus dem
Jahr 2006 zur Lage der Kärntner Slowenen. Darin ab Seite 6 f. zur Sprache.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361