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Naturkatastrophen 31
das gesamte Kulturland bis hin zum Lago Maggiore auf Jahrhunderte hinaus zer-
störte.30 In Österreich verheerte 1348 der Dobratsch-Bergsturz das Gailtal und
staute dabei auch die Gail auf. Noch heute sind deutliche Spuren dieses Ereignisses
in der Landschaft sichtbar.31
Vor dem Jahr 1000 gibt es nicht viele Überlieferungen von alpinen Naturkatastro-
phen. Gregor von Tours beschreibt einen Felssturz in den Pyrenäen, bei dem sich
große Steine von den Bergen lösten und Mensch und Vieh erschlugen.32 Beein-
druckter war er allerdings von einer Katastrophe, die sich ganz nach oben be-
schriebenem Muster abspielte : In Tauredunum, das am östlichen Ende des Genfer
Sees lokalisiert wird,33 ereignete sich ein Bergsturz, der die Rhône bis weit in das
Wallis hinein aufstaute. Als der dadurch entstandene See schließlich die Berg-
sturzmasse durchbrach, zerstörte die Flutwelle nicht nur die Dörfer unterhalb des
Dammes, sondern die Welle wanderte auch den gesamten Genfer See entlang und
vernichtete sämtliche Uferdörfer. Diese Welle soll so hoch gewesen sein, dass sie
sogar über die Stadtmauern von Genf schwappte,34 die immerhin etwa 20 m höher
als das Seeniveau lagen.
Ein weiterer Bergsturz, der möglicherweise Konsequenzen für die Bevölkerung
des frühen Mittelalters hatte, war der Pletzach-Bergsturz im unteren Inntal, der
wahrscheinlich Mitte des 3. Jh. stattgefunden hat. Er dürfte den Inn über die Ziller-
mündung bis ins Zillertal aufgestaut und damit den gesamten Landstrich zerstört
haben. I. Heitmeier argumentiert sogar, dass die angenommene dünne Besiedlung
des frühen Mittelalters eine Spätfolge dieses Bergsturzes sein könnte. Doch es gibt
keinerlei schriftliche Nachrichten über dieses Ereignis.35
Neben Bergstürzen sind Hochwasser typisch alpine Ereignisse. Wirklich katas-
trophal werden sie erst nach dem Zusammenfluss der verschiedenen Gebirgsflüsse
in einem Haupttal oder in den Voralpen. Im Jahr 590 führte die Etsch ein derartiges
Hochwasser – Teile der Mauern von Verona stürzten ein und eine vor den Toren
der Stadt gelegene Kirche war bis an die oberen Fenster von Wasser umgeben.
Allerdings drang wie durch ein Wunder das Wasser nicht in das Innere ein, wie die
Quelle erzählt.36 Den Alpenbewohnern und -bewohnerinnen selbst waren Muren
30 Abele, Bergstürze 124,182.
31 Rohr, Extreme Naturereignisse im Ostalpenraum 183 f.; Abele, Bergstürze, 191.
32 Gregor von Tours Hist. V 33.
33 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 233 (Barruol).
34 Gregor von Tours Hist. IV 31.
35 Heitmeier, Inntal 77.
36 Gregor I, Dial. III 19, Paulus Diaconus Hist. Lang. III 23 übernimmt die Stelle ; Squatriti, Water and
Socierty 67 ff.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361