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56 Naturraum Alpen
Ein Vergleich mit modernen Daten zeigt, dass in vielen Gegenden Mitteleuropas
niedrigere Temperaturen und Niederschlag im richtigen Ausmaß und zur richtigen
Zeit ideal für die Ernte sein können. Im letzten Jahrhundert konnte in Westfrank-
reich eine gute Ernte auch bei einem überdurchschnittlich kalten Winter erwartet
werden, während eine deutlich höhere Temperatur einen negativen Effekt hatte.
In Holland waren die Ergebnisse am besten, wenn im Frühsommer kühles und
regnerisches Wetter vorherrschte. Für die Landwirtschaft ist also der Zeitpunkt
von Niederschlag, Trockenheit und Wärme wichtig.140 In klimatisch wenig begüns-
tigten Lagen kann ein zu kaltes Wetter allerdings sehr wohl negative Folgen für die
angebauten Früchte haben. Einige kalte Jahre der frühen Neuzeit – 1596 bis 1602
und 1740 bis 1742 – bewirkten in Nordeuropa Hungerkatastrophen, da wegen der
zu niedrigen Temperaturen das Getreide nicht reifen konnte.141
Die moderne und neuzeitliche, oft auf Monokulturen aufgebaute Landwirtschaft
kann mit der des frühen Mittelalters nicht unbedingt verglichen werden. Die Agri-
kultur der frühmittelalterlichen Gebirgsbewohner soll daher kurz skizziert wer-
den.142 Allgemein wird davon ausgegangen, dass Subsistenzwirtschaft auf der Basis
von Viehzucht und Ackerbau betrieben wurde und die Siedlungen oft semiperma-
nenten Charakter hatten.143 Diese Wirtschaftsform bedeutet eine große Bandbreite
an angebauten Pflanzen, die unter anderem als Absicherung gegen alle möglichen
Klimaszenarien diente. Subsistenzwirtschaft ist daher wesentlich besser gegen kli-
matische Extremereignisse abgesichert als die ab dem hohen Mittelalter und auch
in der Antike oft gepflogene Spezialisierung auf bestimmte Produkte. Eine weitere
Veränderung gegenüber der Antike ist aus den Pollenuntersuchungen ersichtlich.
Am Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter wird in vielen Regionen
eine Zunahme von Wald und eine Abnahme von Getreidezeigern beobachtet.
Einst wurde das als Rückgang der Besiedlung gedeutet, doch heute interpretiert
man diese Daten eher als Anstieg der Viehwirtschaft auf Kosten der Landwirt-
schaft.144 Gerade Viehwirtschaft ist auch für wesentlich kälteres Klima geeignet,
als es in Mitteleuropa in den letzten 10.000 Jahren gegeben hat : Man denke hier
140 Le Roy Ladurie, Histoire du Climat 95 ff.
141 Ebd. 96.
142 Mehr in den Kapiteln über die alpine Landwirtschaft ab S. 271.
143 Durand, Les milieux naturels 86 ff.; Devroey, The Economy 100 ff.; Küster, Geschichte der Land-
schaft 163 f.
144 Z. B. für Gastein : Kral, Pollenuntersuchungen 208, Leopoldsteiner See/Eisenerz : Drescher-Schnei-
der, Vegetations- und Besiedlungsgeschichte182 ff. Allgemein : Küster, Geschichte der Landschaft
163 f.; Friedmann, Spät- und Postglaziale Landschafts- und Vegetationsgeschichte für den Schwarz-
wald.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361