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Die Alpen als Grenze 73
politischen Entwicklungen einbezogen. Schuld daran war vor allem der merowin-
gische König in Austrasien, Theudebert (reg. 533–547), der in den Alpen nicht
das Ende seines Herrschaftsgebietes, sondern, im Gegenteil, den Anfang seiner
zukünftigen Herrschaft über Italien sah.63 Um diese zu erlangen, galt es zunächst,
die strategisch wichtigen Übergänge der Alpen zu sichern.64 Zuerst eroberte er 534
das Burgundische Reich, dann konnte der Merowinger im Jahr 537 von den Goten
die nordalpinen Regionen und das Gebirge selbst erwerben.65 Danach griff Theu-
debert in den Kriegen zwischen Byzanz und Goten immer wieder zu seinem eige-
nen Vorteil ein. Um 539 führte ein Kriegszug angeblich über 100.000 fränkische
Krieger in die Poebene, wo sie gegen Goten und Byzanz gleichermaßen kämpf-
ten.66 546 übergab der gotische König Totila Theudebert die Provinz Venetien, um
wenigstens diesen Feind auszuschalten und gleichzeitig der imperialen Armee den
Landweg nach Italien durch Dalmatien und Istrien zu versperren. Für die Franken
bedeutete dies gleichzeitig eine südliche Absicherung der alpinen Gebiete. Direkt
gegen Byzanz gingen sie aber nie vor.67 Trotzdem bemühte sich der fränkische Kö-
nig, dem Kaiser seine Macht zu beweisen. In dem berühmten Brief Theudeberts an
Kaiser Justinian prahlte er mit der äußersten Zone seine Macht, die unter anderem
in „septentrionalem plagam Italiaeque Pannoniae […] per Danubium et limitem
Pannonie usque in oceanis litoribus“ läge.68 Diese Grenzziehung ist zwar etwas
nebulos, Noricum und Rätien sind in den Augen des Herrschers aber damit ein-
deutig Teil des fränkischen Reiches.69 Auch die berühmten Zeilen des Venantius
Fortunatus (s. u.) sind ein deutlicher Hinweis auf die fränkische Präsenz zumindest
in Teilen des alpinen Noricum.
Der Kaiser hatte jedoch seinen Anspruch auf Noricum noch nicht aufgegeben.
547/8 schenkte er den Langobarden, offenbar als Unterstützung und Puffer gegen
die Franken in Venetien, die polis Noricon und weitere Befestigungen in Pannoni-
en.70 Diese polis Noricon wird meist als das Stadtgebiet von Poetovio/Ptuj und Ce-
63 Schneider, Fränkische Alpenpolitik 42 ; Wolfram, Salzburg, Bayern,Österreich 39.
64 Bernard, Le Royaume mérovingien 163.
65 Prokopios Bell. Got. I (V) 13.14–29 ed. Dewing 136 ff.; Wolfram, Die Goten 315, 344 ; Kaiser, Chur-
rätien 31.
66 Prokopios Bell. Got. II (VI) 25.2 ed. Dewing 84 ; Gregor von Tours Hist. III 32 ; Wolfram, Die Goten
347.
67 Wolfram, Die Goten 355 f.; Menke, Alemannisch-italische Beziehungen 167.
68 MGH Epp. 3 Epistolae Austrasicae Nr. 20, S. 133.
69 Wolfram, Grenzen und Räume 66 f.; Ciglenečki, Results and Problems 298 ; LexMa „Theudebert I“
(U.Nonn).
70 Prokopios Bell. Got. III (VII) 30.10 ed. Dewing 440 ; Christou, Byzanz und die Langobarden 81 ;
Wolfram, Die Goten 323.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361