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76 Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen
Parallel zu diesen Scharmützeln und Machtkämpfen zwischen Langobarden,
Franken und Baiern darf man die Byzantiner nicht vergessen, die entweder
durch Bestechung oder durch militärisches Eingreifen immer noch sehr aktiv
am politischen Geschehen auf dem Gebiet der ehemaligen römischen Präfektur
Italien und damit auch in den Alpen beteiligt waren. Die Talsperren und Festun-
gen an den Südausgängen der Alpen dürften von ihnen in der Mitte des 6. Jh.
erneuert bzw. zusätzlich befestigt worden sein.82 Der byzantinische Feldherr
Narses konnte für eine kurze Zeit auch Venetien wiedererobern, vielleicht auch
die Gebirgsgegenden Noricums : Die Befestigungsanlage des Duels bei Feistritz
wird in ihrer Bauweise byzantinisch gedeutet.83 Noch bis weit in langobardische
Zeit hinein wurden einige der alpinen Festungen von byzantinischen Besatzun-
gen beherrscht. So ist für Susa noch 574 ein byzantinischer magister militum,
Sisinnius, bekannt, der hier unbehelligt von den vor dem fränkischen Feldherren
Mummolus fliehenden Langobarden residieren konnte.84 Die Küstengegenden
bei Grado und Istrien waren ohnehin noch lange byzantinisch und entfernten
sich erst in einem jahrhundertelangen Ablösungsprozess. Ravenna fiel 751 in die
Hände der Langobarden und Venedig blieb überhaupt bis ins hohe Mittelalter
hinein der (wenn auch recht autonome) Repräsentant von Byzanz in der oberen
Adria.
Ende des 6. Jh. traten schließlich die Letzten der Mächte auf, die in dieser Zeit
im Alpenraum eine Rolle spielen sollten : die Awaren und mit ihnen die Slawen.
Dieses Steppenvolk konnte die bislang nur in kleinen (Plünderungs-)Gruppen
agierenden Slawen mobilisieren und schaffte es so, innerhalb von kürzester Zeit
ein riesiges Gebiet zu erobern.85 Spätestens 610 stand dann ein slawisch-awari-
sches Heer bei Aguntum, besiegte das bairische Heer und definierte damit einen
Grenzraum, der für über 100 Jahre lang seine Gültigkeit hatte.86 Die Gründe dieser
starken Westbewegung innerhalb der Alpen sind nicht deutlich zu erkennen. Auf-
fällig ist, dass durch die awarische Eroberung des Ostalpenraumes den Langobar-
den in Friaul und Venetien der Rücken frei wurde und ihr Territorium zumindest
im Osten weder durch Franken noch durch die nun frankenfreundlichen Baiern
unter Tassilo bedroht wurden. Möglich ist daher, dass sie die slawisch-awarische
82 Auctarii Havniensis Extrema c. 3 und 4, MGH Auct. ant. 9, S. 337 ; Christie, From Constantine to
Charlemagne 367 f.; Löhlein, Alpen- und Italienpolitik 51.
83 Gleirscher, Karantanien 17 ; Gassner (Hg.), Am Rande des Reiches 368.
84 Gregor von Tours Hist. IV 44.
85 Pohl, Awaren 118 ff.
86 Paulus Diaconus Hist. Lang. IV 39 ; Wolfram, Grenzen und Räume 79.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361