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78 Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen
Engel meinte wohl, er solle zwischen diesen beiden wählen und sich nicht für
die obere Hälfte, Asien, entscheiden, wo offenbar die Slawen verortet wurden.93
Columban beschloss daraufhin, nach Italien zu gehen. Diese Entscheidung scheint
allerdings politische Hintergründe gehabt zu haben, denn der Missionar hatte
sich geweigert, die seiner Ansicht nach illegitimen Söhne des Theudebert zu seg-
nen, und sich damit den Unmut der mächtigen Königin Brunhilde zugezogen. Er
musste daher fliehen.94 Dieser Machtwechsel hatte scheinbar auch Auswirkungen
auf das Verhältnis der Awaren und Slawen zu den Franken, eine Mission war da-
nach nicht mehr möglich.
In Baiern wurde das Auftreten der awarisch-slawischen Macht so lange gedul-
det oder sogar unterstützt, solange Herzog Garibald I. mit den Langobarden ver-
bündet war. In dem Moment, als er abgesetzt wurde, fanden erste Kämpfe der
Baiern in Sclaborum provinciam statt. Der neue Herzog Tassilo zog 592 gegen die
Slawen, um zu plündern. 595 erlitt er jedoch eine Niederlage, da die Slawen das
mächtige Awarenheer zu Hilfe gerufen hatten. Nach dessen Tod wurde sein Sohn
im Jahr 610 bei Aguntum von Slawen besiegt, die daraufhin die Grenzgebiete auf
der Suche nach Beute verwüsteten. Sie konnten jedoch wieder vertrieben wer-
den.95 H. Wolfram meint, dass dieser Kampf im Pustertal die Präsenz der Baiern
dort und beim Brenner voraussetzt und daher die Franken ihnen nach dem frän-
kisch-langobardischen Frieden von 591 das Gebiet östlich des Reschen überant-
wortet hätten.96 Die Orte Tesselberg, Uttenheim, Dietenheim und Greimwalden
im Pustertal werden daher nach den Namen der agilolfingischen Herzogsfamilie
gedeutet und als Ansiedlung von Wehrbauern aus dieser Zeit interpretiert.97 Es
gibt aber auch einige Stimmen, die den Raum nicht „als fast ausschließliches Feld
bayerischen Interesses“ sehen.98 Denn eine bairische Präsenz südlich des Brenners
ist sonst nicht leicht fassbar. Die oben genannten Ortsnamen könnten auch aus
dem Ende des 7. Jh. stammen, als um 680 erstmals ein bairischer Graf südlich des
Alpenhauptkammes in Bozen nachweisbar ist.99 Ein weiterer Hinweis auf eine erst
93 Jonas Vita Columbani I 27 MGH SS rer. Merov. 4, S. 104 : „Cumque haec votis patrandum inesset,
an gelus Domini per visum apparuit, parvoque ambitu, velut paginali solent stilo orbis discribere
cir cul um, mundi conpagem monstravit. ‚Cernis‘, inquit, ‚quod maneat totus orbis desertus. Perge
dextra levaque, qua eligis, ut labores tui fructus comedas‘. Intellexit ergo ille, non esse gentis illius in
promptu fidei profectus, quievitque in loco, donec aditus ad Italiam viam panderet.“
94 Wood, The Merovingian Kingdoms 132 f.
95 Paulus Diaconus Hist. Lang. IV 10 u. 39 ; Wolfram, Grenzen und Räume 79.
96 Wolfram, Grenzen und Räume 79.
97 Schmid, Bayern und Italien 65.
98 Schneider, Fränkische Alpenpolitik 26 und besonders Heitmeier, s. u.
99 Schmid, Bayern und Italien 64.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361