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88 Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen
Handlungsweise, die von Gregor von Tours sehr kritisiert wird.146 Im Tiroler Inntal
hatten die dort siedelnden Breonen Anfang des 6. Jh. ausdrücklich einen militäri-
schen Auftrag. Sie waren wohl an das Castellum Teriolis gebunden.147 Etwa 200
Jahre später spricht die Vita des Corbinian von actoribus vel habitatoribus Alpium
bzw. auctoribus montanis, die im Engadin und im Etschtal die Grenze zum Terri-
torium der Langobarden bewachten. Sie sollten es dem Herzog der Baiern mel-
den, falls Corbinian den Weg auf seiner Rückkehr von Rom passiere.148 In diesem
Zusammenhang ist eine Urkunde aus dem Jahr 827/828 erwähnenswert, in der
ein Quarti nationis Noricorum et Pregnariorum, Besitzungen an das Kloster Innichen
übergibt. Güter befanden sich unter anderem in einem castellum ad uuipitina, das
direkt am Fuß des Brenners nahe des heutigen Sterzing lag.149
Bei einem erhöhten Sicherungsbedarf aufgrund der strategischen Bedeutung
einer Alpentransversale wurden manchmal auch eigens Soldaten mit ihren Fami-
lien angesiedelt. Hierbei handelte es sich oft um Gruppen, die als eigener Stamm
oder Teil eines Stammes bezeichnet wurden. Diese Organisation wurde schon von
den Römern angewandt, die zusammenhängende Gruppen an den Grenzen an-
siedelten, um ihnen die Verteidigung zu überantworten. Mitte des 5. Jh. wurden
Alanen im westlichen Alpenvorland bei Vienne stationiert, um den Mont Cenis
und Montgenèvre zu schützen, und 443 wies der römische Feldherr Aetius Bur-
gundern den Raum um Genf an. Diese Stadt liegt an der Verlängerung der Route
über den Großen St. Bernhard und hatte daher eine große Bedeutung. Diese Sta-
tionierung diente, ähnlich wie bei den Alanen, auch dem Zweck, die Alpenzu-
gänge zu sichern.150 Theoderich nutzte die Festungen in den Alpen zum Schutz
der oberitalienischen Ebene. Er griff wohl auf ältere, spätrömische Befestigungen
zurück.151 Überliefert sind gotische Gruppen am Südfuß der Westalpen, die dort
die strategisch wichtigen Befestigungen beherrschten und die Grenzen kontrollier-
ten. In den Gotenkriegen wechselten diese militärischen Besatzungen, laut Proko-
146 Gregor von Tours Hist. IV 42.
147 Heitmeier, Inntal 178. Cassiodor Var. I 11 erwähnt die Breonen als an militärische Aufgaben ge-
wöhnt.
148 Wolfram, Mitteleuropa 146. Da im Text die Menschen im Venusticae vallis und Innetinis lokalisiert
werden, übersetzte Brunhölzl, Vita Corbiniani 111 die Worte mit „Vinschgau“ und „Engadin“. Nach
heutigem Wissen waren diese Gebiete Anfang des 7. Jh. jedoch churrätisch und damit fränkisch.
Möglicherweise spiegelt die Quelle aber eher die Verhältnisse zur Zeit Arbeos wider und diese
„Bergwächter“ können daher nicht genau lokalisiert werden.
149 Trad. Freis. ed. Bitterauf Nr. 550 S. 471 f.
150 Die genaue Lokalisierung des den Burgundern zugewiesenen Bezirkes Sapaudia ist Gegenstand
zahlreicher Diskussionen. Kaiser, Burgunder 40 f.
151 S. o. und Wolfram, Die Goten 306.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361