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Grenzen in den Alpen 91
nennt „claustra Pyrenei“167, Paulus Diaconus „claustra Italiae“168 und meinte damit
vermutlich die Grenzfestung bei Susa. Das System von Befestigungen an strate-
gisch günstigen Engstellen als Grenzsicherung dürfte östliche Vorbilder haben. Die
Römer bzw. Byzantiner hatten jahrhundertelange Erfahrungen mit Grenzkämp-
fen im Gebirgsland der heutigen Türkei und des Kaukasus.169 Die Ostgrenze des
byzantinischen Reiches im anatolischen Bergland wurde ab der Mitte des 7. Jh.
mittels kleisurai, Engpässe, bewacht.170 Dass auch Cassiodor das Wort clusura ver-
wendet, unterstützt die These, dass diese Burgen entweder von den Byzantinern
selbst oder nach byzantinischem Vorbild errichtet wurden.171
Diese Grenzkastelle wurden gleichzeitig zur Kontrolle der Ein- und Ausreisen-
den genutzt. Grenzkontrollen wie in moderner Zeit scheinen nicht vorstellbar,
doch genau das ist es, was uns in einem der raren Texte überliefert ist, die das
Thema „Grenzverkehr“ behandeln. Es handelt sich hier um einen Gesetzestext
des langobardischen Königs Ratchis, entstanden um 746, der das organisatori-
sche Prozedere in den clusae behandelt. Die Grenzwächter, clusurae, standen un-
ter einem in der Stadt residierenden iudex und hatten jeden Reisenden, der den
Grenzposten passieren wollte, zu überprüfen. Denn niemand durfte sine signo aut
epistola regni, also ohne ein Zeichen oder Brief des Königs, ein- oder ausreisen.172
Es ist nicht klar, ob diese Grenzprozedur immer üblich war oder der angespannten
Situation Mitte des 8. Jh. entsprang, als die Franken an der Grenze zu Italien mili-
tärisch erfolgreich waren und Ratchis zunehmend Spitzel der Nachbarländern an
seinem Hof befürchtete.173 Auch im Zentralalpenraum kam es um 720 immer wie-
der zu Auseinandersetzungen mit dem bairischen Fürsten Grimoald, wie die Vita
des Corbinian aber auch Paulus Diaconus andeuten.174 Die in der Vita erwähnten
merito sic appellata esse iudicamus, quando contra feras et agrestissimas gentes velut quaedam
plagarum obstacula disponuntur. ibi enim impetus gentilis excipitur et transmissis iaculis sauciatur
furibunda praesumptio.“
167 Jordanes Orig. Get. XXXII.
168 Paulus Diaconus Hist. Lang. V 2., V 33.
169 Lopez, On the supposed frontier 108.
170 Auch dort waren regelmäßige Plünderungszüge der Byzantiner bzw. Araber in das jeweils gegne-
rische Gebiet üblich, Koder, Der Lebensraum der Byzantiner 83.
171 Cassiodor Var. II 5 : „in Augustanis clusuris“. Das Wort wird auch im Codex Justinian verwendet (I
27 1 §4)! Hier für die Festungen in Nordafrika. Duparc, Les cluses 27 f.
172 Ratchis Leges 13 ed. Beyerle 192.
173 Ratchis Leges 13 ed. Beyerle 192 ; Pohl, Frontiers in Lombard Italy 118 (mit einer genaueren Ana-
lyse des Textes) ; Duparc, Les cluses 20 f.
174 Jahn, Ducatus 104 ; Paulus Diaconus Hist. Lang. VI 58 ; Arbeo von Freising, Vita Corbiniani c. 25
ed. Glaser/Brunhölzl 132 : Corbinian bittet den Herzog von Baiern für seine geplante Zelle einen
bestimmten Grund bei Mais/Meran zu kaufen, in c. 33 ed. Glaser/Brunhölzl 142 wird dann aus-
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361