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102 Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen
damals einheimische Frauen ihre Kinder als Wurfobjekte gegen die römischen Sol-
daten benutzt hätten.226 Diese Mythen dienten der Überhöhung und Idealisierung
der Helden, sei es Hannibal oder die römische Armee.
Kurz vor Christus wurden die letzten aufmüpfigen Stämme der Alpen besiegt.
Ein Großteil der Namen wurde auf dem etwa 7 vor Christus erbauten Triumph-
bau des Tropaeum Alpium nahe dem heutigen Monaco verewigt, das anlässlich
des siegreichen Alpenkrieges von Augustus errichtet worden war.227 Die Alpen
und besonders die Alpenbewohner verloren nun ihren Schrecken, da das Gebirge
durch die Verschiebung von Truppen in die transalpinen Gebiete regelmäßig ge-
quert werden musste. Gleichzeitig bewirkten der Verkehr und die Ausbeute von
Bodenschätzen die tiefgehende Romanisierung vieler Regionen der Alpen. In den
klassischen Beschreibungen finden sich nun einige Details, die ohne Übertreibung
von den Gefahren des Gebirges berichten. So kann Strabon mit einer Erklärung
von Lawinen aufwarten, die auch heute noch gültig ist : Er meint, dass die alpine
Schneedecke aus unterschiedlichen Schichten besteht, von denen sich manchmal
die oberste löst und Karawanen in den Abgrund reißen kann.228
Die Einwohner des Gebirges bewahrten sich einen Rest „Wildheit“ durch den
Ruf der Alpen, aufgrund der Straßenräuber ein besonders gefährliches Pflaster zu
sein. Einerseits war dies sicherlich ein Topos, andererseits dürfte regional durchaus
eine reale Gefahr bestanden haben – die spezielle Topografie des Gebirges gab
Räubern einfach mehr Möglichkeiten als das flache Land.229 Noch der heilige Mar-
tin von Tours gerät, als er abseits der begangenen Routen geht, „natürlich“ in die
Hände von Banditen.230 Ein positiver Aspekt dieser Ungezügeltheit wurde in der
besonderen Freiheitsliebe der Gebirgsmenschen gesehen, ein Gemeinplatz, der ja
auch heute noch sehr beliebt ist.231 Dieser Topos wurde gelegentlich sogar umge-
226 Florus II 22.5. „Noricis animos dabant Alpes, quasi in rupes et nives bellum posset ascendere ; sed
omnes illius cardinis populos, Breunos, Vcennos atque Vindelicos, per privignum suum Claudium
Drusum perpacavit. Quae fuerit Alpinarum gentium feritas, facile est vel per mulieres ostendere,
quae deficientibus telis infantes suos adflictos humi in ora militum adversa miserunt“. Auch Strabon
IV, 6, 8 beschreibt die außergewöhnliche Grausamkeit alpiner Krieger.
227 Walser, Studien zur Alpengeschichte in antiker Zeit 26. Eine Abschrift der nur mehr teilweise erhal-
tenen Inschrift findet sich in der Nat.Hist. III 133 ff. von Plinius d. Ä.
228 Strabon IV 6.9.
229 Lafer, Securitas hominibus 129. Dazu passt auch der Grabstein des Antonius Valentinus in Ajdovš
čina, auf dem notiert wurde, dass er von Straßenräubern ermordet wurde : „int[er] / fecto a latro[ni]
/ bus in Alpes Iul[ias]“ (datiert zwischen 150 und 200). Petolescu, Inscriptiones extra fines Daciae
repertae 1996 Nr. 146. Auch Strabon IV 6.9 kennt diesen Topos.
230 Sulpicius Serverus Vita sancti Martini 5.
231 Sonnabend, Mensch und Landschaft 160 f.; Truschnegg, Antike Berichte über die Alpenbewohner
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361