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104 Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen
Schon bei Tacitus kann man nur eine magere Routenbeschreibung finden.237 Die
Darstellungen der Alpen wurden nun „wissenschaftlicher“. Die einzelnen Gebirge,
Pässe, die Ausdehnung und auch die von Italien aus wahrnehmbare Bogenform
wurden geschildert.238 Schon Strabon konnte das Zentrum dieses Bogens bei den
Salassern, also im heutigen Aostatal verorten.239 Römische Karten, wie etwa die
Tabula Peutingeriana, zeigen, dass die Distanzen genau abgemessen waren (siehe
Abbildung E am Ende des Buches).
Die Schriftsteller der Spätantike griffen wieder vermehrt auf die alten Alpenbil-
der zurück. Dies liegt wohl daran, dass die Alpen nun öfters Ort von Auseinander-
setzungen waren. Die Bürgerkriege Ende des 4. Jh. bedingten, dass Heere über die
Alpen zogen und hier auch Schlachten geschlagen wurden, etwa im Jahr 394 am
Frigidus in den Julischen Alpen. In den dichterischen Werken, die diese Gescheh-
nisse verarbeiteten, wurden die Alpen ganz entsprechend dem antiken Topos auf
die Hochgebirgszonen reduziert. Der zur gleichen Zeit lebende Historiker Ammi-
anus Marcellinus versucht um 390, ein realistisches Bild der Alpen zu vermitteln,
reduziert jedoch auch seinen Bericht auf die spannendsten Momente, nämlich den
Aufstieg zur Passhöhe im Winter.240 Zuerst folgt er ganz dem bekannten Topos
der furchtbaren, vom ewigen Schnee bedeckten Höhen und der Schutzfunktion
der Alpen und versucht einen geografischen Überblick, indem er die Grenze der
Alpen sehr weitläufig im Westen durch die Pyrenäen und im Norden durch den
Rhein definiert. Doch sein nachfolgender Bericht des Weges über den Mont-
genèvre ist detailliert und naturnahe. Er kennt die Gefahren, die das Frühjahr im
Gebirge durch die Schneeschmelze bringt, und beschreibt eine Technik, wie die
Wägen entlang des Weges gesichert werden. Die Fahrzeuge werden aneinander-
gebunden und dann von hinten durch Ochsen oder Männer an Seilen gehalten
und herabgelassen. Die Route selbst ist zusätzlich von den Einheimischen durch
Stöcke markiert, um auch bei Schneelage sichtbar zu sein. Aber er meint auch,
dass, wenn die Pfosten schneebedeckt oder weggerissen seien, selbst Ortskundige
den Weg kaum finden könnten. Wie ein Reiseführer betont Ammianus, dass der
beschriebene Weg gegenüber dem anderen, vermutlich dem Kleinen St. Bernhard,
eine Abkürzung sei, und dass der Abstieg nach Brigantium/Briançon leichter als
der Aufstieg aus dem Tal der Dora Riparia sei. Danach schreibt er über andere
237 Monnier, Exploitation litteraire 43 ; Tacitus Hist. unter anderem I.23, I.66 und besonders I.70.
238 Z. B.: Plinius d. Ä. Nat. Hist. III 131–138 ; Strabon IV ; Ammianus Marcellinus XV 4–5, 10–16.
239 Plinius d. Ä. Nat. Hist. III 132 meint, es wären 745 Meilen, also etwa 1.100 km – je nach Messung
ist diese Zahl durchaus realistisch. „iugum alpium“ bei Titus Livius XXI 35.4 und Bogenform bei
Strabon V 1.3.
240 Ammianus Marcellinus XV 10 ff.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361