Seite - 109 - in Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
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Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den Römern bis Heinrich IV. 109
der nach Valence flüchteten.261 Diese Berge und Wälder waren das nur 1.600 m
hohe Massif du Vercors : kein Hochgebirge, sondern ein von tiefen Schluchten
und Kalkblöcken geprägtes, unwegsames Gebiet der französischen Kalkvoralpen.
Beim Weg zurück nach Italien mussten sie dann den Rest ihrer Beute zurücklas-
sen, da sie wegen der Verfolgung des Mummolus trotz Schnees über die Alpen
flüchten mussten. In dieser ganzen Geschichte werden die Alpen mit keinem Wort
erwähnt.
Warum verschwanden also die Alpen aus der frühmittelalterlichen Wahrneh-
mung ? Die ersten Nachrichten über die Alpen sind von den Griechen und Römern
überliefert. Diese kamen aus dem Süden und sahen die Alpen von der Poebene
aus als beeindruckende, lange Zeit des Jahres schneebedeckte Gebirgsmauer. Im
Inneren dieses Gebirges fanden sie auf den Pässen viel härtere klimatische Be-
dingungen vor als gewohnt. Im Gegensatz dazu stammen die frühmittelalterli-
chen Quellen über den Alpenraum von Mönchen, die aus dem Norden der Alpen
stammten. Ihnen präsentierte sich das Gebirge zuerst als Reihe von sanftem Hü-
gelland und Mittelgebirge. Wie aus dem Reichsteilungsplan von 806 ersichtlich,
nahmen die Franken die Alpen vielleicht sogar nicht einmal als Einheit war.262
Auffällig ist jedenfalls, wie wenig die Alpen namentlich in den Quellen genannt
werden. Auch die klimatischen Unterschiede zwischen Nordfrankreich oder dem
nördlichen Alpenvorland und den Alpentälern sind nicht sehr groß.263 Noch weni-
ger Überraschung brachten die Höhen der Alpen beispielsweise für die iroschot-
tischen Mönche : Nicht nur das Klima sondern auch die Vegetation waren ähnlich
in ihrer Heimat.
Die Alpen waren nun längst nicht mehr das große Unbekannte, sondern in die
Geografie der jeweiligen Mächte eingebunden. Querungen waren, vor allem durch
die Rompilger und diverse militärische Unternehmungen, fast alltäglich gewor-
den, und mit einer Erzählung von Kämpfen in schneebedeckten Höhen konnten
keine Punkte mehr gewonnen werden. Die Autoren der genannten Viten, meist
in der Nähe des Gebirges lebend, nutzten die Möglichkeiten kaum aus, um ihren
Heiligen in den Alpen durch eine widrige Natur eine besondere göttliche Gnade
zukommen zu lassen. Dies ist ebenfalls ein Hinweis, dass die Bedrohung der Na-
turgewalten im Gebirge zu dieser Zeit offenbar als nicht viel größer wahrgenom-
men wurde als anderswo.
261 Gregor von Tours Hist. IV 44.
262 Schneider, Fränkische Alpenpolitik 46.
263 Im Gegensatz zu den südlichen Ländern : Gregor von Tours schildert, dass viele fränkische Soldaten
bei einem Feldzug in Oberitalien aufgrund des ungewohnten Klimas krank wurden oder starben.
Hist. X 3.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361