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Geschichte und Strukturen 117
der Radstädter Tauern. Diese Engstellen wurden nun entweder lokal umgangen
oder man wich großräumig aus. Im Fall von Säben ging der Weg daher nun ober-
halb der Schlucht über den Ritten10 oder gleich ganz über den Reschenpass.
Noch im 5. und 6. Jh. gab es einen funktionierenden Briefverkehr über die Al-
pen. Die Vita Severini deutet ein Postsystem an.11 Auch nach den Kriegen zwi-
schen Goten, Byzanz und Franken in Italien dürfte die Kommunikation durchaus
noch funktioniert haben, denn der in Gallien lebende Venantius Fortunatus beklagt
sich, dass er keine Post mehr von den in Oberitalien lebenden Eltern erhalte.12 Er
ging demnach noch von einem funktionierenden Postweg aus.
Die verfallenden Straßen hatten also möglicherweise gar keinen negativen Ef-
fekt auf den Verkehr über die Alpen. Die Vernachlässigung der römischen Stra-
ßenbauten erfolgte vielleicht sogar durchaus bewusst : Aufwendige Wege wurden
nicht mehr gebraucht. Die „modernen“ Heere des frühen Mittelalters waren be-
weglicher und „geländegängiger“ als die antiken, römischen Heere. Sie benötigten
die Karrenwege einfach nicht mehr. Als das römische Heer auf diese Art zu kämp-
fen umstellte, trug dies auch zur der Aufgabe der antiken Technik des Straßenbaus
und der Organisation bei.13 Die Mobilität von frühmittelalterlichen Heeren zeigte
sich beispielsweise an den Plünderungszügen der Langobarden in den Westalpen
und auch an den Angriffen der fränkischen Truppen im zentraleren Alpenraum.
Das bairische Heer, das um 610 in Aguntum kämpfte, könnte nicht den Brenner,
wie allgemein angenommen, sondern genauso gut das wesentlich höhere Hoch-
tor oder den Felber Tauern überschritten haben.14 Wie unten bei den einzelnen
Passsystemen detaillierter gezeigt werden wird, wurden nun auch die Übergänge
abseits der großen, römischen Wege genutzt. Die „normalen“ Reisenden waren
ebenfalls beweglicher geworden, denn im Flachland waren auch nur mehr wenige
Straßen mit Wägen befahrbar. Falls man sich ein Transportmittel leisten konnte,
wurde nun zu Esel, Pferd oder Ochse gegriffen.15 So konnten auch jene Übergänge
genutzt werden, die aufgrund ihrer Steilheit und Höhe in römischer Zeit eher ge-
mieden worden waren, daher keine ausgebauten Wegtrassen aufwiesen, aber aus
geografischen oder politischen Gründen günstiger waren.
10 Brunner, Herzogtümer und Marken 203 ; Pauli, Alpen 221 ff.
11 Eugippius, Vita s. Severini c. 17, c. 31 und c. 46 ; Krahwinkler, Zur kirchlichen Situation im Südostal-
penraum 106 ; Régerat, Italien in der Vita Severini 202.
12 Venantius Fortunatus Carminum Lib. VII 9.9 f MGH Auct. ant. 4.1, S. 163 ; Fels, Gelegentlich Ge-
dichte S. XXVIII.
13 Walser, Studien zur Alpengeschichte in antiker Zeit 38, 41.
14 Paulus Diaconus Hist. Lang. IV 39. Siehe dazu auch S. 78.
15 McCormick, European Economy 76.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361