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120 Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege
seiner Position am äußersten Rande des fränkisch-christlichen Kulturraumes zu
einem wichtigen Zentralort aufsteigen und legte nun den Grundstein zum Ausbau
der ostalpinen Pässe. Sicherlich gab es zumindest auf lokaler Ebene auch vorher
Handel und transalpine Verbindungen in den Ostalpen. Doch mangels Quellen
lässt sich darüber nur wenig sagen. Möglicherweise war der Güteraustausch be-
deutender als bislang angenommen.
Die Organisation der Grenzen wurde oben schon im entsprechenden Kapitel
behandelt. Je nach der politischen „Großwetterlage“ kontrollierten oder verhin-
derten die Mächte den Verkehr über bestimmte Alpenübergänge. Die Schlacht der
Slawen und Awaren gegen die Baiern bei Aguntum Anfang des 7. Jh. war beispiels-
weise ein deutliches Signal, dass die Durchgänge der Ostalpen nun nicht mehr al-
len offenstanden. Die Baiern wiederum ließen um 565 nicht jeden Reisenden über
den Reschen- und Brennerpass. Venantius Fortunatus schreibt, man könne beim
Inn die Alpen nur dann queren, „si vacat ire viam neque Baiovarius obstat“26, wenn
also der Baier nicht im Weg steht. Der langobardische König Ratchis versuchte,
mittels strenger Passvorschriften ungewünschte Reisende an den Grenzen aufzu-
halten.27 Diese Blockaden galten wohl nur für die offiziellen Wege und hochran-
gige Personen, denn gerade die Alpen lassen dem mit leichtem Gepäck Reisenden
zahlreiche Möglichkeiten der Querung offen. Noch heute wäre es unmöglich, den
Verkehr über die Alpen gänzlich zu kontrollieren.
Ein Problem, das große Heere, Herrscher und andere gut ausgestattete Reisende
nicht hatten, dafür aber arme Pilger, waren Räuber. Diese gab es schon in der An-
tike häufig in bestimmten Regionen der Alpen.28 Ab dem Ende des 9. Jh. nutzten
Sarazenen die vielen Täler und kleinen Übergänge der südlichen Westalpen. Ihre
Basis lag in der Nähe von Fréjus an einer unzugänglichen Stelle. Diese Saraze-
nen waren weniger organisierte Heere, die an Gebietsgewinn interessiert waren,
sondern räuberische Banden, die die westalpinen Regionen plünderten und die
Wege bedrohten. Im Jahr 906 wurde die Abtei Novalesa geplündert und in den
Jahren 923, 936 sowie 939 wurden die sich dort aufhaltenden Pilger massakriert.
911 heißt es, dass sich deshalb der Erzbischof von Narbonne nicht mehr über die
Alpen nach Rom traute.29 Die lokalen Herren konnten den Raubzügen kaum etwas
entgegensetzen, denn die Verstecke der Räuber waren durch den Schutz des Ge-
26 Venantius Fortunatus Vita S. Martini Lib. IV MGH Auct. ant. 4.1, S. 368.
27 Ratchis Leges 13 ed. Beyerle 192 ; Pohl, Frontiers in Lombard Italy 97 ff.; Schneider, Fränkische
Alpenpolitik 41.
28 Lafer, Securitas hominibus 129.
29 Senac, Musulmans et Sarrasins 51. Der Weg über das Meer war ebenfalls durch sarazenische Piraten
gefährdet.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361