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Wahl des Passes und der Jahreszeit 121
birges gesichert und kaum bedroht. Mit den sehr beweglichen Einheiten zu Pferd
waren auch hohe Übergänge und unwegsame Vegetation kaum ein Problem. Um
940 verlangten sie an einigen Pässen sogar Maut.30 Erst Ende des 10. Jh. wurden
die Sarazenen besiegt : Sie hatten es 972 gewagt, den Abt von Cluny am Großen
St. Bernhard zu kidnappen. Erst diese Aktion bewirkte, dass die Herrscher der
umliegenden Regionen ein Heer schickten und drei Jahre später die Räuber ver-
jagt wurden.31 Diese immer wiederkehrenden Plünderungen und Überfälle hatten
vor allem den antiken Pass Montgenèvre geschadet : Die Menschen zogen den
sichereren Weg über den Mont Cenis vor.32 Solche Vorkommnisse konnten die
Wegwahl durch die Alpen entscheidend beeinflussen.
Erst nachdem die aktuelle Situation bestimmt hatte, welche Pässe für welchen
Zweck nutzbar waren, kamen naturräumliche Überlegungen zum Zug : Es galt den
kürzesten und für die Jahreszeit günstigsten Weg zu finden. Hierbei wurde im frü-
hen Mittelalter auf die zu überwindenden Höhenmeter im Großen und Ganzen
wenig Rücksicht genommen. Die übliche Fortbewegung fand zu Fuß, unterstützt
von Last- und Reittieren, statt (siehe oben). Auf diese Weise kann ein Mensch in
einem Tag auch im Gebirge auf einem ausgebauten Weg gut 30–40 km zurücklegen,
manchmal sogar deutlich mehr.33 Muss er dabei auch noch Höhenmeter zurückle-
gen, macht es wenig Unterschied, ob die zu überwindende Höhe nun nur 300 oder
1.000 m waren : Üblicherweise werden etwa 400 m pro Stunde gerechnet, dabei
werden aber meist auch noch etwa 2–4 km zurückgelegt. Ein um 700 m höherer
Pass bedeutet also einen Mehraufwand von höchstens 2 Stunden. Für den gewöhn-
lichen Reisenden war die Umgehung eines hohen Passes nur dann sinnvoll, wenn
es die Witterung erforderte oder der niedrigere Pass wenige Kilometer entfernt lag.
Nur ganz bestimmte Gruppen nahmen einen größeren Umweg in Kauf, um in den
Genuss einer gut ausgebauten Fahrstraße zu kommen, beispielsweise große Heere,
repräsentative Züge der Könige oder auch Handelskarawanen mit Karren.
Dass die Höhe alleine nicht ausschlaggebend für die Nutzung der Pässe war, zeigen
auch die zahlreichen Funde aus römischer und frühmittelalterlicher Zeit auf erstaun-
lich hohen Pässen : Am 2.841 m hohen Antronapass fand man römische Münzen.34
30 Sociétés savantes de Savoie, Echanges et voyages 74.
31 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 298 (G. Barruol) ; Fixot, Provence 487 ff.
32 Leguay (Hg.), Savoie 191. Zur Geschichte dieser Sarazenen : Sénac, Musulmans et Sarrasins dans le
sud de la Gaule, VIIIe–XIe siècle. Siehe auch unten S. 222 f., 305.
33 Brunner, Herzogtümer und Marken 204 f.; McCormick, European Economy 477 ff.; Csendes, Stra-
ßen 92 f. zeigt dies anhand der Reisebeschreibungen von Bischöfen und Königen des Hohen Mittel-
alters. Entlang der Wasserwege waren auch 40–50 km am Tag möglich.
34 Pauli, Einheimische Götter und Opferbräuche im Alpenraum 842.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361