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194 Menschen in den Alpen
wurden viele Bischofssitze großzügig ausgebaut.119 Es entwickelte sich dabei eine
spezielle Form der bischöflichen Selbstdarstellung : die sogenannten Kirchenfami-
lien, die nun an vielen Bischofssitzen errichtet wurden.120 Zunächst entstand die
Form der Doppelkathedralen, also zwei fast gleich große Kirchen nebeneinander,
sowie ein Baptisterium dazwischen oder daneben. Diese wurden schon ab dem
frühen 4. Jh. beispielsweise in Trier von Kaiser Konstantin gebaut. Auch in Gallien,
Oberitalien und Dalmatien ist dieser Typus häufig. In merowingischer Zeit wur-
den Zwillingskathedralen seltener errichtet,121 im Alpenraum entstanden sie am
Hemmaberg noch Anfang des 6. Jh.122
Der Entstehungsgrund dieser spätantiken Kirchenfamilien, Zwillingskathedra-
len und Doppelkirchen liegt im Dunkeln. Die Deutungsmöglichkeiten reichen von
verschiedenen Widmungen (Maria, Christus und einem Heiligen/einer Heiligen)
über unterschiedliche liturgische Funktionen, je eine getrennte Pfarr- und Stiftskir-
che, bis hin zur möglichen Funktion als Sommer- und Winterkirche. Vielleicht gab
es daher gar keine einheitliche Verwendung. Zumindest eine der Kirchen war meist
einem oder einer Heiligen und der entsprechenden Reliquie(n) geweiht, genauso
wie es fast immer ein Baptisterium gegeben hat.123 Auch im Alpenraum sind diese
Anlagen häufig anzutreffen. Einen großen bischöflichen Kirchenkomplex gab es
schon ab dem 4. Jh. in Aquileia. Hier finden sich zwei Kirchen, ein Atrium und ein
Baptisterium. In Grado umfasste der bischöfliche Komplex die Kirche St. Eufemia
und ein Baptisterium.124 Die wichtigsten Beispiele von Kirchenfamilien an einem
alpinen Bischofssitz sind Grenoble, Genf, Octodurum/Martigny, Chur, Säben und
Aguntum/Lavanter Kirchbichl. Am Hemmaberg finden sich einige Kirchen ohne
Bezug zu einem Bischofssitz, vielleicht handelte es sich um ein Pilgerheiligtum.125
Die bischöflichen Komplexe, also Kirchen, Baptisterium, bischöfliche Residenz
und etwaige Gebäude zur Unterkunft von Gästen, nahmen zunehmend einen be-
trächtlichen Platz in der Siedlung ein. Gleichzeitig verkleinerten die meisten Städte
in der Spätantike und im frühen Mittelalter ihren Raum, zusätzlich wurden nur die
Stadtkerne mit Mauern geschützt oder auf einen befestigten Hügel verlegt.126 Die-
119 Loseby, Decline and Change 75.
120 Guyon, La topographie chrétienne 113. Nicht alle Bischofssitze hatten mehrere Kirchen.
121 Lehmann, Von der Kirchenfamilie zur Kathedrale 22 f.
122 Ladstätter, Die materielle Kultur 203 ; Glaser, Teurnia 132. Zum möglichen Grund dieses späten
Auftretens s. u.
123 Lehmann, Von der Kirchenfamilie zur Kathedrale 24 ; Gy, Églises doubles et groupes d’églises 51 ff.
124 Villa, Edifici di culto in Friuli 501 ff.
125 Glaser, Frühchristliche Denkmäler 35.
126 Loseby, Decline and Change 80 u. 82. Siehe das auch das Kapitel zur Stadtentwicklung ab S. 239.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361