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Christentum 197
in Aguntum oder Teurnia.145 Die Lage einer Kirche war also oftmals bestimmend
für die Entstehung einer Siedlung.
Die heutigen Verhältnisse müssen mit Vorsicht analysiert werden, da beispiels-
weise auch das Hochmittelalter deutliche Brüche erzeugen konnte. Viele der heute
abgelegenen Kirchen befanden sich über die Jahrtausendwende hinaus in einer
Siedlung mit oft spätantiken Wurzeln, die erst im hohen Mittelalter verlassen wur-
de.146 Im 9. und 10. Jh. wurden auch in zentralen Siedlungskammern der Alpen
Kirchen aufgegeben, wie beispielsweise in Sedunum/Sion und Molzbichl.147
Manchmal bewirkte diese christlich motivierte Siedlungsdynamik rund um Kir-
chen und kirchliche Zentren, dass die Peripheriesiedlungen eine stärkere Anzie-
hungskraft hatten als der Zentralort selbst. Die Stadtbevölkerung wanderte in die
kleinen, dörflichen Siedlungen der Umgebung ab und das einstige städtische Zent-
rum verfiel. Zusätzlich beschleunigt wurde dieser Prozess, wenn der Bischofssitz
aus oben genannten Gründen unterging oder umgesiedelt wurde. Dann verlagerte
sich der städtische Kern gänzlich und die antike Stadt sowie die alte bischöfliche
Residenz wurden von den Bewohnern verlassen. Im Falle von Octodurum/Marti-
gny im Wallis sowie Aguntum im Lienzer Becken konnten sich am alten Bistums-
zentrum wenigstens noch Kirchen halten, in Teurnia und Virunum verfielen auch
diese. Meist wurde angenommen, dass diese Kirchen von den erobernden Slawen
und Awaren um 600 gewaltsam zerstört wurden. Es gibt jedoch auch in den West-
alpen die völlige Aufgabe von Bischofssitz und Kirche, beispielsweise in Cimiez bei
Nizza (s. o.).148 Man kann den Verfall der ostalpinen Städte ganz allgemein in den
Kontext der spätantiken Veränderungen der Siedlungstopografie auf den Boden
des ehemaligen Römischen Reiches stellen.
Der Siedlungsmittelpunkt der genannten Regionen verlagerte sich meist um nur
wenige Kilometer, wo im Laufe des frühen Mittelalters neue regionale Zentren
entstanden. In den Westalpen war die Kirche ein Faktor für die Ausbildung dieser
neuen Mittelpunkte, wie man an der Verlagerung des Bischofssitzes von Octodu-
rum nach Sedunum/Sion/Sitten und dem daraufhin folgenden Aufstieg dieses Or-
tes als Zentralsiedlung des Wallis sehen kann.
145 Die Grundmauern beider Kirchen wurden nach den Ausgrabungen konserviert und können vor
Ort besichtigt werden.
146 Meier, Siedlungs-, Sakral und Bestattungstopographie 287, 281.
147 Sion : Antonini, L’église funeraire 173 ; Molzbichl : Glaser/Karpf, Ein karolingisches Kloster 10 und
unten, im Kapitel über die Klöster der Ostalpen ab S. 230 ff.
148 Duval, Les fouilles de Cimiez 960 ; Jourdain-Annequin, Atlas culturell 251 (I. Cowburn), die dortige
Anlage wurde ausgegraben und kann besichtigt werden, die Bischofskirche des 5. Jh. wurde in der
aufgelassenen Badeanlage für Frauen errichtet.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361