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202 Menschen in den Alpen
Höhensiedlungen häufig mehrere Kirchen auf relativ engem Raum gab, denkt man
heute an eine andere Funktion der Kirchen.167 Franz Glaser, Leiter der neueren
Ausgrabungen, sieht die Anlage als Pilgerheiligtum für sowohl arianische als auch
katholische Christen an, denen jeweils eine Kirchengruppe zugeordnet war.168 Da-
für spräche auch die profane Nutzung der vierten Kirche ab der Mitte des 6. Jh.,
also nach dem Ende der Herrschaft der arianischen Goten über Noricum.169 Der
Reliquienbehälter wurde erst um einiges später geplündert, nämlich unmittelbar
nachdem die Kirche Anfang des 7. Jh. niederbrannte. Das Skelett der Heiligen/
Märtyrerin war noch so gut erhalten, dass sogar das Geschlecht festgestellt werden
konnte : Es handelte sich um eine Frau mittleren Alters.170 Eine planmäßige Auf-
gabe der Kirche hätte wohl den Transfer der Reliquien zur Folge gehabt.
Volker Bierbrauer sieht keinen Grund für die Annahme, dass es eine arianische
und eine katholische Kirchengemeinde gegeben hätte, denn eine große Anzahl
von Kirchen war für diese Zeit nicht ungewöhnlich.171 Außerdem war das Verhält-
nis der beiden christlichen Glaubensrichtungen untereinander normalerweise
nicht besonders gut. Die arianischen Kirchen der Goten in Ravenna befinden sich
beispielsweise nicht in unmittelbarer Nähe zu den katholischen und wurden sofort
nach der Eroberung durch Byzanz umgebaut.172 Obwohl die Burgunder bis Mitte
des 6. Jh. zum Teil arianisch waren, gibt es in den Westalpen kaum archäologische
Spuren, die auf arianische Kirchen deuten. In den Quellen sind sie jedoch be-
legt.173 Von Aosta berichtet die Legende, dass dort Anfang des 6. Jh. ein arianischer
Bischof innerhalb der Stadtmauern residierte. Der katholische Erzdiakon Ursus
musste sich daraufhin eine eigene Struktur außerhalb der Mauern aufbauen : das
520 gegründete Kloster Ss. Pietro ed Orso.174
Eine interessante Theorie zur Erklärung der Gebäude auf dem Hemmaberg
kam von unerwarteter Seite. 2006 wurde der Boden unterhalb der heutigen Kirche
Maria am Anger in Lauriacum/Lorch untersucht. Die archäologisch-geophysika-
167 Lehmann, Von der Kirchenfamilie zur Kathedrale 27 und Duval/Caillet, Les églises doubles 33
warnen davor, jede Höhensiedlung mit Kirchenkomplex als (Flucht-)Bistum zu interpretieren.
168 Glaser, Der frühchristliche Kirchenbau 425 f., Teurnia 129 ff., Frühes Christentum 96 ff. u. v. a.
169 Ladstätter, Die materielle Kultur 200.
170 Ladstätter, Die materielle Kultur 198. Zur Diskussion darüber siehe oben Kapitel „Lokale christli-
che Topographie im Wandel“ ab S. 124
171 Bierbrauer, Arianische Kirchen in Noricum mediterraneum und Raetia II ? 205 ff.
172 Auch vorher kamen sich die beiden Gemeinschaften nicht wirklich nahe. Sotinel, Arianismus und
Katholizismus in Ravenna 235.
173 Kaiser, Burgunder 152 ff. u. 163.
174 Glaser, Frühes Christentum 194 ff.; Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 238 f. (C. Bonnet, R.
Perinetti) ; Pippke/Leinberger, Piemont und Aosta-Tal 152 f.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361