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218 Menschen in den Alpen
Das gesamte ehemalige Binnennoricum sowie Teile Pannoniens gehörten dazu.253
Als das Patriarchat Aquileia erstmals gegen diese Aneignung seines Territoriums
protestierte, war es zu spät : Karl der Große sprach 811 nur vermeintlich ein sa-
lomonisches Urteil, als er als Grenze die Drau festlegte, die seiner Meinung nach
mitten durch die Provinz Karantanien floss – per mediam illam provinciam currit. 254
De facto wurde Salzburg der weitaus größte Teil der Ostalpen zugeteilt. Das letzte
Wort war hier aber noch nicht gesprochen. So liegt die aquileische Gründung Pa-
triasdorf bei Lienz, am nordseitigen Ufer der Drau.255
In den Ostalpen war nach wie vor die missionarische Tätigkeit sehr wichtig. Da-
bei wurde sogar versucht, mit Überzeugungskraft zu wirken und nicht auf Zwangs-
bekehrungen zu setzen.256 Die abfällige Haltung Heiden gegenüber mag ein Aus-
löser der Aufstände in den Jahren davor gewesen sein. Jedenfalls war Mission und
Taufe weit mehr als nur ein religiöser Akt, es ging auch um politische Ziele.257
Christliche Strukturen wurden vor allem durch Eigenkirchen der adeligen
Grund herren ausgebaut. Dass slawische Adelige auf diese Weise in der kirchli-
chen Organisation ein wichtiges Wort mitzureden hatten, zeigt beispielsweise die
Kirche St. Peter am Bichl, 5 km von Karnburg entfernt. Die dort aufgefundenen
Flechtwerksteine deuten auf das karolingische Alter der Kirche, die Inschriften
auf slawische Stifter. Wie in Dalmatien wurden Inschriften mit dem Namen der
Erbauer/Ausstatter an der Chorschranke angebracht, hier tragen sie die Namen
Otker und Radozlaw. Der Name Otker = Etgar wurde auch von einem Slawen-
fürsten getragen, möglicherweise handelt es sich um dieselbe Person. Radozlaw
verweist eindeutig auf einen slawischen Hintergrund258 (siehe Abbildung 23 auf
S. 341).
Ab dem 8. Jh. trat ein christliches Element in den Alpenraum, das in den Jahr-
hunderten davor hier kaum eine Rolle gespielt hatte : die Klöster. Diese beeinfluss-
ten in der Folge die Entstehung und Entwicklung der christlichen, aber vor allem
auch die wirtschaftlichen und kulturellen Strukturen nachhaltig.
253 Wolfram, Grenzen und Räume 177.
254 MGH Diplomata DD Kar. I Nr. 211, S. 282.
255 Wolfram, Grenzen und Räume 226 ; Karwiese, Ager Aguntinus 56 ; Dopsch, Zur Missionstätigkeit
des Patriarchats Aquileia 1 ; Bratož, Aquileia und der Alpen-Adria-Raum 180 f.
256 Pohl, „Das sanfte Joch Christi“ 273 ; insbesondere Alkuin war dies ein Anliegen MGH Epp. 4 ; ep.
110, 111, 113, S. 158, 159 und 164.
257 Reimitz, Liturgical Frontiers 204 f.
258 Karpf, Frühe Eigenkirchen 891 ; Wolfram, Grenzen und Räume 304.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361