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220 Menschen in den Alpen
wichtiger Verkehrsstrecken und meistens nicht mehr als ein bis zwei Tagesreisen
vom nächsten kirchlichen und weltlichen Zentrum entfernt (siehe Abbildungen A,
B und C am Ende dieses Buches).
Lange Zeit gab es nur ein einziges großes klösterliches Zentrum in den Alpen :
St. Maurice d’Agaune, offiziell begründet im Jahr 515 und wichtiges erst burgun-
disches und dann merowingisches Königskloster.266 Andere Klöster, die über un-
geregelte, kleine Mönchsgemeinschaften hinausgingen, wurden im Alpenraum
erst gegen Ende des 7. Jh. und besonders ab dem Anfang des 8. Jh. gegründet.
726 entstand am Fuß des wichtigen Westalpenpasses Mont Cenis das Stift Nova-
lesa, das 739 durch eine äußerst großzügige Schenkung wohlhabend und mächtig
wurde.267 Die Gründung dieses Klosters unterstreicht die Bedeutung des Mont
Cenis, die sich im Laufe des frühen Mittelalters entwickelt hatte. Das am Fuß
des Montgenèvre gelegene Kloster bei Oulx verlor in Folge an Wichtigkeit.268
In den Zentralalpen liegen die ältesten bekannten Klöster in Churrätien, danach
folgten die im alemannischen und bairischen Alpenvorland sowie die im Gebirge
selbst. Diese Zellen wurden alle entlang wichtiger Verbindungswege angelegt. Be-
nediktbeuren und Staffelsee dürften direkt an der einstigen Römerstraße gelegen
sein. Auch kleinere Zellen, etwa die Maximilianzelle bei Bischofshofen oder Zell
am See, wurden an bedeutenden frühmittelalterlichen Verkehrswegen gebaut.
Manche Klöster lagen nahe den antiken Straßenstationen, etwa Innichen (Litta-
mum), St. Maurice (Acaunum) und Scharnitz (Scarbia). Die Position der Klöster
nahe den römischen Straßenstationen ist so auffällig, dass W. Störmer daraus den
Schluss zieht, dass die Römerstraßen im frühen Mittelalter noch intakt waren und
bis in das 12. Jh. hinauf genutzt wurden.269 Dies scheint eine sehr optimistische
Einschätzung zu sein. Außerdem unterschieden sich die Routen über die Alpen
im frühen Mittelalter regional teilweise deutlich von den in der Antike genutz-
ten.270 Die Verantwortung der Klöster für die alpinen Verkehrsachsen schlägt sich
auch in der Lage ihrer Güter nieder, die häufig entlang der Zugangsstraßen zu
schung. Der Topos der unbewohnbaren Einsamkeit wurde auch bei Klostergründungen in Städten
angewandt. Bosl, Die Gründung Innichens 451 ff.; Howe, Creating symbolic landscapes 212.
266 Gregor von Tours Hist. III 5 ; Fredegar IV 1 ; Zur fraglichen Echtheit der Gründungsurkunde :
Theurillat, L’acte de fondation de l’abbaye de Saint-Maurice d’Agaune 57 ff. An dem Ort existierte
schon vorher ein bedeutendes Pilgerzentrum. Auch die religiöse Gemeinschaft dort dürfte noch um
einiges älter sein. Zufferey, Die Abtei Saint-Maurice 30.
267 Geary, Aristocracy 37 ff.
268 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 248 (H. Falque-Vert) und 251 (I. Cowburn).
269 Störmer, Engen und Pässe 93 und Frage der Funktion des kirchlichen Fernbesitzes 386.
270 Siehe Kapitel „Über die Alpen“ ab S. 129.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361