Seite - 229 - in Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Bild der Seite - 229 -
Text der Seite - 229 -
Christentum 229
gegründet. Es verfügte im 8./9./10. Jh. über Besitzungen, die sich ganz an das
römische Straßennetz anlehnten. So lag Gauting, ein bedeutendes Zentrum des
8./9. Jh., am Schnittpunkt der Straßen Augsburg–Salzburg und Kempten–Epfach/
Lech–Regensburg. Es gab auch Besitzungen an der Straße über Partenkirchen–
Mittenwald–Scharnitz nach Innsbruck bzw. Veldidena/Wilten. Das Kloster Schar-
nitz wurde ebenfalls mit Gütern entlang ehemaliger römischer Routen ausgestat-
tet, zum Beispiel noch im 8. Jh. mit dem römischen Teriolis, heute Zirl im Inntal.324
Scharnitz war 763 von Reginperht, Oberhaupt der oben genannten Sippe, gestiftet
und dem Bischof von Freising, Arbeo, übergeben worden. Die Lage ist noch un-
klar, es stand bei Klais oder bei Mittenwald an heute abgelegener Stelle wenige
Kilometer vor der Scharnitzenge. In der Antike lag hier ein wichtiger Weg nach
Süden Richtung Brenner, wie unter anderem die römische Straßenstation Scarbia
verrät.325 Schon 773 wurde das Kloster nach Schlehdorf versetzt, da es Schwierig-
keiten hatte, in der solitudine Scarantiense326 zu bestehen. In der Umgebung befand
sich der pagus desertus Uualhogoi327, der dem Kloster geschenkt wurde.328 Das Wort
desertus kann nicht mit „Einöde“ übersetzt werden. Die in der unmittelbaren Um-
gebung liegenden Ortsnamen Wallgau, Walchensee etc. können von der romani-
schen Bevölkerung abgeleitet werden.329 Man kann daher schließen, dass dieser
Landstrich noch von Romanen bewohnt war. Das Wort bezeichnete deshalb eher
eine fehlende herrschaftliche Organisation.330 Die Gründung eines Klosters an die-
ser Stelle mag der Versuch gewesen sein, die Verbindung unter Kontrolle zu be-
kommen und von den Einkünften zu profitieren. Vielleicht war es die Konkurrenz
mit den Einheimischen, die sich als Säumer, Führer und Unterkunftgeber verding-
ten, die den Rückzug des Klosters notwendig machte.331 Möglicherweise lohnte
324 Jahn, Ducatus 411 ; Störmer, Fernstraße und Kloster 303 ff.
325 Siehe dazu auch das Kapitel Übergänge, S. 139. „Scarbia“ erscheint als Straßenstation an der Bren-
nerstraße auf der Tabula Peutingeriana.
326 Trad. Freis. ed. Bitterauf Nr. 19. S. 46.
327 Ebd. S. 47.
328 Trad. Freis. ed. Bitterauf Nr. 53 (Verlegung) S. 81 ; Störmer, Fernstraße und Kloster 336 und sein
Artikel im LexMa „Scharnitz“.
329 Siehe z.b : in BN 4.7 ed Lošek 94 „[…] in eodem pago Trunwalha dedit, qui dicuntur Romanos
tri butales LXXX.“ Haubrichs, Die verlorene Romanität 702 ; Kattenbusch, Bezeichnungen für die
Sprachen 165.
330 Wolfram, Grenzen und Räume 126 ; Jahn, Ducatus 412 sieht das Wort als „Ausdruck fiskalischer
Rechte“. Er betont dort auch die romanischen Wurzeln der Gründerfamilie.
331 Eventuell kann man Parallelen zu Bischofshofen sehen, wo es einen Besitzstreit mit einer ein-
heimischen, romanischen Familie gegeben hat. NA 8 und BN 3. Dazu und zu den Romanen des
Alpenvorlandes siehe auch S. 305 ff.
zurück zum
Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361