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238 Menschen in den Alpen
Diese Ansicht dürfte sich im 7. und 8. Jh. gefestigt haben. Dazu kam ein Wandel im
Gebrauch der anderen spätantiken Begriffe für menschliche Siedlungen. Ab dem
9. Jh. wurden civitas und urbs allgemein für befestigte Plätze und das Wort castrum
sinngleich mit civitas verwendet.373 In den Traditionen des Stiftes Freising finden
sich ebenfalls die Begriffe für Stadt (urbs, oppidum, civitas, metropolis) oft in Verbin-
dung mit Mauern („urbs meniis constructa“, „moeniis situm“) auch für Siedlungen,
die damals wenig mehr als zentrale Sitze waren.374 Die Bezeichnungen machen
also eher eine Aussage über den Rang der Siedlung. Imst wurde hier beispielsweise
in der Mitte des 8. Jh. oppidum genannt.375 Dieses Wort zeigt eine bedeutende Rolle
in der Verkehrsorganisation an, vielleicht auch einen Marktort oder Ähnliches,
sagt aber nichts über die Größe der Besiedlung aus. In der Conversio reist Rupert
„ad Lauriacensem […] civitatem“ im Gegensatz zu einem „locum, qui vocatur
Walarium“. Auch die einstige römische civitas Iuvavum wird nur mit dem Wort
locum belegt,376 im Gegensatz zu Teurnia : Eine Kirche wird „ad Liburnia civitate“
gegründet.377 Dafür kennt die Notitia Arnonis Salzburg als „oppidum“, nennt aber
das „castrum superiorem“ getrennt.378
Die Wortwahl zeigt in vielen Texten weniger den tatsächlichen Status der Sied-
lung, sondern betonte die Intention des jeweiligen Schreibers. Der genutzte Aus-
druck drückte also den Rang der Siedlung innerhalb des Textes aus. Der Autor der
Conversio wollte das Wirken Ruperts betonen und seinen Anteil an der Genese
des Ortes Salzburg hervorheben : Vor seiner Ankunft sei es nicht mehr als ein
unbedeutender Platz gewesen.379 Die Nennung einer civitas in Karantanien hin-
gegen konnte hervorstreichen, an welch prominentem Ort die Salzburger Kirche
vertreten war.380
Im Gegensatz zu den zahlreichen Erwähnungen und gelegentlichen Beschrei-
bungen von Städten und Zentralorten in den zeitgenössischen Quellen stehen die
373 LexMa „civitas“ (G. Köbler) ; Csendes, Antike Wurzeln 11 ; Eine genaue sprachliche Untersuchung
der Worte „castrum“, „oppidum“, „civitas“ und „locus“ in BN und NA findet sich in Lošek, Notitia
Arnonis und Breves Notitiae 59 ff.
374 Bitterauf, Traditionen Freisings LXXX über die verschiedenen Ortsbezeichnungen in den Trad.
Freising.
375 Trad. Freis. ed. Bitterauf Nr. 19 S. 47.
376 Conversio c. 1 ed. Wolfram 36.
377 Ebd. c. 5, S. 44 ; Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 115.
378 NA praef. ed Lošek 72 ; Lošek, Notitia Arnonis und Breves Notitiae 60 ; Wolfram, Salzburg, Bayern,
Österreich 118.
379 Wolfram, Conversio 63.
380 Dazu auch das LexMa civitas (M. Hellmann) zum Gebrauch des Wortes civitas im slawischen
Raum, das eine Burgsiedlung oder aber auch das Territorium eines Stammes meinen konnte.
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Buch Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361