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246 Menschen in den Alpen
Binnennoricums abgelöst.416 Anfang des 6. Jh. war Teurnia noch eine blühende Bi-
schofsstadt, aber kaum 100 Jahre später finden sich nur noch wenige Spuren einer
Besiedlung. Die Siedlung erlitt also das typische Schicksal eines Ortes, der seinen
Bischof verloren hatte : Die Bevölkerung zog in das Umland. Ein Hinweis auf die
ehemals römische Bevölkerung ist der Flurname „Laschitzen“, der bei Teurnia
nördlich der heutigen Bundesstraße 100 an der Stelle vorkommt, an der 1993 eine
möglicherweise spätantike Mauer freigelegt worden war.417 Diese und analoge Bil-
dungen können auf die slawische Bezeichnung für Romanen zurückgeführt werden
und finden sich im gesamten Kärntner Raum. Nur etwa 10 Kilometer südlich von
Teurnia gibt es mit der spätantiken Grabplatte in den karolingischen Klosterresten
von Molzbichl ein eindrucksvolles Zeugnis christlicher Kontinuität.418 Die christ-
liche Tradition lebte also nicht im untergegangenen Bischofssitz weiter, sondern
im ungeschützten Umland der Stadt. Dieses Muster findet sich auch in Frankreich,
und in zahlreichen anderen Städten bewirkte die Verehrung eines lokalen Heili-
gen vor den Stadtmauern, dass hier eine bedeutende Siedlung wachsen konnte.
Die slawische Herrschaft war zwar höchstwahrscheinlich für die Auflösung des
Bischofssitzes verantwortlich, die Dynamik der frühmittelalterlichen Siedlungs-
entwicklung entspricht aber der vieler Regionen auf dem Boden des ehemaligen
Römischen Reiches. Ein Hinweis auf das slawische Zentrum des Raumes gibt die
Conversio, wo eine Kirche „ad Liburnia civitate“ genannt wird. Diese civitas – hier
wird das Wort wohl im Sinn von „Burg“ gebraucht – konnte bislang archäologisch
noch nicht geortet werden, denn die spätantike Siedlung am Holzer Berg selbst
weist keinerlei Spuren aus dem frühen Mittelalter auf.419 Der antike Siedlungsname
hatte sich also offenbar auf einen nahegelegenen Ort verlagern, der das Zentrum
der regionalen slawischen Herrschaft dieser Zeit war. Die Wallburgen des west-
slawischen Raumes werden in den lateinischen Quellen sehr oft civitas genannt.420
Die sicherlich beeindruckenden und möglicherweise noch bewohnten Ruinen des
antiken Teurnia wurden auch deshalb nicht revitalisiert, da die Salzburger Mission
aufgrund der Konkurrenz zu Aquileia gar kein Interesse daran hatte, spätantike
Kontinuitäten zu betonen.421
416 Wolfram, Grenzen und Räume 24.
417 Diese Mauer könnte das Drautal gesperrt haben. Glaser, Teurnia 135 ff.
418 Zu Molzbichl siehe S. 234 f.
419 Conversio ed. Wolfram c. 5, 44 und 93 (Kommentar) ; Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 118
und 281 f.; Glaser, Ein karolingisches Kloster 119.
420 Lecziejewicz, Herkunft und Gliederung 235.
421 Siehe dazu auch Kapitel „Das Christentum in den Ostalpen : Neugründung oder Kontinuität ?“ ab
S. 203.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Untertitel
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Autor
- Katharina Winckler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 426
- Schlagwörter
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361