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264 Menschen in den Alpen
haben, wie die Analyse der Lage von Gutshöfen in den Südwestalpen zeigt.515
Oben schon oft genannt wurde die in römischer Zeit praktisch fundleere Mauri-
enne : Erst als ab dem 6. Jh. der Mont Cenis vermehrt genutzt wurde, können hier
größere Siedlungen nachgewiesen werden. Ab dem Jahr 561 hatte das Tal sogar
einen eigenen Bischof.516 Für Moûtiers am Kleinen St. Bernhard und Embrun an
der Route über den Montgenèvre hingegen werden schon Mitte des 4. Jh. Bischöfe
erwähnt, für Octodurum/Martigny im Wallis sogar schon 381.517 In beiden Tälern
gibt es zahlreiche römische Funde. Diese unterschiedliche Siedlungsentwicklung
hängt also direkt mit den Routen über die Alpen zusammen. Die Verkehrswege
waren daher ein wichtiger Faktor für die Entstehung von spätantiken und frühmit-
telalterlichen Zentralorten. Damit verzahnt war jedoch ihre Anfälligkeit für Zer-
störung durch durchziehende Armeen und plündernde Gruppen : Diese benutzten
nämlich besonders gerne die ausgebauten Übergänge.
Die Lage an einem Gewässer war nicht nur für die Trinkwasserversorgung
günstig, sie förderte auch die Erreichbarkeit der Stadt, den Handel und damit die
Versorgung. Die Anzahl der schiffbaren Gewässer war im frühen Mittelalter viel
größer als heute, denn vor den Flussregulierungen der Neuzeit hatten viele alpine
Flüsse ein breiteres Bett und damit eine langsamere Strömung. Zusätzlich zu Boo-
ten wurden auch Flöße und Einbäume genutzt. Da diese Gewässer nicht nur wich-
tige Handels- und Verkehrsrouten waren, sondern auch die Versorgung eines Ortes
vereinfachten, legten die Römer ihre Städte gerne in der Ebene direkt an Gewäs-
sern an.518 Doch die Ebene an einem größeren Fluss ist in den Alpen ein eher
ungünstiger Ort, ebenso die fruchtbaren Schwemmkegel : Überschwemmungen
und Muren bedrohen diese gern genutzten Lagen. Dies kann man beispielsweise
an Chur und Aguntum sehen, wo die römische Siedlung teils meterhoch übermurt
und an einigen Plätzen ganz weggeschwemmt war.519
Auf die weiteren naturräumlichen Einflüsse auf die Anlage der alpinen Siedlun-
gen wurde schon im Kapitel „Naturraum Alpen“ eingegangen. Generell waren die
besten Siedlungsorte für die Landwirtschaft die Mittelgebirgsterrassen der Alpen,
also jene Plateaus, die einige Hundert Meter oberhalb der sumpfigen, von Hoch-
wasser und Inversion betroffenen Tallagen in günstiger, das bedeutet südseitiger,
Besonnungslage auf etwa 1.000–1.500 m Höhe liegen. Hier lassen sich tatsächlich
515 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 158 (S. Bleu).
516 Ebd. 230 (G. Barruol).
517 Siehe Kapitel „Entwicklung des Christentums in den Alpen“ ab S. 173.
518 Über die genutzten Wasserwege siehe das Kapitel „Quer- und Wasserwege“ ab S. 150.
519 Simonett/Sablonier, Bündner Geschichte 68 ; Tschurtschenthaler, Mediterraner Luxus im Alpen-
raum 97, 102 f.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361