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266 Menschen in den Alpen
Dauersiedlungsfunde eine ungefähre Zahl von 550 Einwohnern festgestellt. Das
nutzbare Gebiet lag bei etwa 550 km2 und hätte mit den damaligen Möglichkeiten
die doppelte Bevölkerungsanzahl ernähren können.524 Das Tal war demnach mit
etwa einer Person pro km2 zwar nicht dicht besiedelt, doch verfügte es über eine
durchaus solide Bevölkerungsanzahl. Für die Antike und das frühe Mittelalter gibt
es einige lokale Schätzungen. Man nimmt an, dass in der französischen Region Dau-
phiné um die Zeitwende etwa 225.000 Menschen gewohnt haben dürften.525
Die antiken Berichte kannten den Topos der menschenleeren Alpen nicht, im
Gegenteil : Laut Strabon (IV 7) konnten die Römer nach dem Aufstand der Salas-
ser im Aostatal 36.000 Menschen gefangen nehmen, davon 8.000 Krieger. Diese
Anzahl wird von gelehrter Seite bezweifelt.526 Doch kann man sich angesichts des
breiten und fruchtbaren Tales und seiner Seitentäler durchaus eine größere Bevöl-
kerungsanzahl vorstellen.527 Cäsar berichtete von einer großen Zahl von Veragrern
und Sedunern im Wallis bei Octodurum und präzisiert die Zahl etwas später auf
mehr als 30.000 Kämpfer.528 Auch Livius erzählt von den dicht besiedelten Tälern,
die Hannibal während seines Alpenzuges querte.529 Die Amphitheater der Alpen
können einen Hinweis darauf geben, wie groß die Bevölkerung in den entspre-
chenden Städten war, wobei diese Anlagen allerdings auch der Unterhaltung der
Reisenden dienten. So konnte der Bau von Octodurum/Martigny im Wallis etwa
5.000 Zuschauer und Zuschauerinnen beherbergen,530 die Anlagen von Augusta
Praetoria und Virunum weisen ähnliche Dimensionen auf.531 Sogar das Amphi-
theater von Briançon, gelegen auf etwa 1.200 m Höhe, dürfte an die 4.000 Men-
schen Platz gegeben haben.532
Für die Spätantike und das frühe Mittelalter wurde gerne ein Siedlungsrück-
gang in den alpinen Gebieten postuliert. In einigen Regionen der Ostalpen wurde
524 Der Untersuchungsraum befand sich zwischen Reschenpass und Zernez. Primas, From fiction to
facts 8.
525 Boudon/Rougier, Histoire du Dauphiné 67.
526 Heuberger, Rätien im Altertum 59.
527 Laut Istituto Nazionale di Statistica Italia hatte das Aostatal im Jahr 2009 rund 127.000 EinwohnerIn-
nen.
528 Cäsar, De bello Gallico III, 2 und 6. Zum Vergleich : Das Wallis zählte 1996 etwa 270.000 Einwoh-
nerInnen. Quelle : statistisches Amt Wallis (2008).
529 Livius XXI, 32 ff.
530 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 190 (Wiblé); Wiblé (Hg.), Vallis Poenina 171.
531 Piccottini et al., Virunum 125 ; Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 188 ff. (G. Barruol, I. Cow-
burn, F. Wiblé,) ; Pippke/Leinberger, Piemont und Aostatal 158.
532 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 189 (Cowburn).
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361