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Besiedlung 267
geradezu von einer Siedlungsleere gesprochen.533 Allerdings gibt es keinen Grund,
warum ausgerechnet während der unruhigen Zeiten der Spätantike die Bevölke-
rung aus den Alpen geflüchtet sein soll, boten doch gerade die Gebirgsgegenden
einen gewissem Schutz vor Plünderern und marodierenden Heeren. Für Chur-
rätien wird daher ein verstärkter Zuzug aus dem Flachland angenommen, der
eine deutliche Bevölkerungszunahme bewirkt hätte.534 Gräber bieten jedoch den
alleinigen Anhaltspunkt auf die Bevölkerungszahl. Das Einzige, was sicher scheint
ist, dass es zu keinem Rückgang in der Bevölkerung gekommen ist.535 Auch in den
Westalpen lässt sich dies anhand der gleichbleibenden Belegung der Friedhöfe
beobachten.536
In den Zentralalpen um Brenner- und Reschenpass sind noch keine diesbe-
züglichen Schätzungen gemacht worden. Die Ostalpen bieten überhaupt ein ei-
genes Bild. Das Kärntner Becken war noch Anfang des 6. Jh. eine typische roma-
nische Provinz, wie sich an den zahlreichen spätantiken Kirchen in Teurnia und
am Hemmaberg ablesen lässt. Die Gebirgstäler nördlich davon weisen schon zu
dieser Zeit kaum mehr archäologische Funde auf. Nachdem um das Jahr 600 Sla-
wen und Awaren den Raum erobert hatten, veränderte sich die materielle Kultur
der Bevölkerung. Als Behausung dienten Zelte oder einfache Grubenhäuser aus
Holz, daneben wurde nur wenig Keramik verwendet und metallene Gegenstände
wiederverwertet. Zusätzlich kam die Sitte der Brandbestattung auf, sodass nur
ganz wenige Gräberfelder in diesem Raum bekannt sind.537 Damit verlieren sich
auch im Drautal und Kärntner Becken die Spuren der Besiedlung. Die Bedeu-
tung des karantanischen Raumes im 8. Jh. und die dichte Verteilung der sla-
wischen Ortsnamen538 sprechen aber nicht dafür, dass die Bevölkerung völlig
ausgedünnt oder der Raum Ende des 6. Jh. ganz entvölkert war. Noch dazu hätte
eine Siedlungsleere ja den Zugriff der bairischen oder langobardischen Nachbarn
bedeutet, der aber nachweislich nicht erfolgte.539 So ist eine genaue Schätzung
der Bevölkerungszahlen in diesem Raum für diese Zeit noch nicht möglich. Die
wichtigsten Siedlungskammern des oberen Ennstales bei Schladming und zwi-
533 Z. B. Dopsch, Geschichte Salzburgs 114 ; Klein, Beiträge 20 für das Gebiet um Mittersill.
534 Bundi, Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte Graubündens 38 f.; Meyer, Besiedlung und wirt-
schaftliche Nutzung 235.
535 Kaiser, Churrätien 196.
536 Colardelle, Sépulture et traditions funéraires 382 : (Zur Merowingerzeit) „Si l’on ne peut pas identi-
fier de réelles poussées du peuplement, on ne peut pas non plus identifier de phases de récession.“
Und : „On n’observe pas de grande désertion à l’époque mérovingienne.“
537 Siehe S. 324.
538 Mader, Alpenslawen Karte 12.
539 Siehe dazu das Kapitel „Der Ostalpenraum : Von Binnennoricum zu Karantanien“ ab S. 319.
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Inhaltsverzeichnis
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361